Nein, sooo groß ist Telegram nicht, sagt die Plattform. In Frankreich ist der Chef des Unternehmens jetzt trotzdem festgenommen worden. Er versteht sich als Kämpfer für die Meinungsfreiheit. In Russland sieht man das seit seiner Verhaftung auch so.
Telegram-Chef Pawel Durow ist seit Samstag (24.08.2024) in Frankreich in Haft. Verdächtige dürfen dort bis zu vier Tage ohne Verfahren festgehalten werden. Danach muss richterlich entschieden werden, ob der Telegram-Mitgründer freikommt oder ein Verfahren gegen ihn eröffnet wird (Stand: Montag 26.08.2024).
Die Plattform gehört zu den fünf größten sozialen Netzwerken der Welt, sagt Deutschlandfunk-Nova-Netzreporterin Martina Schulte. Nach eigenen Angaben hat Telegram weltweit rund 950 Millionen aktive monatliche Nutzerinnen und Nutzer (Stand: Juli 2024).
"Durow präsentiert sich und sein Netzwerk als Hort absoluter Meinungsfreiheit. Eine Moderation oder Einflussnahme auf die Inhalte lehnt er ab."
Bei der monatlichen Zahl aktiver Nutzer*innen in der EU gibt Telegram an, mit 41 Millionen Personen unter dem Schwellenwert von 45 Millionen zu operieren und somit der EU-Einstufung als "sehr große" Online-Plattform und den damit verbundenen Verpflichtungen nicht zu unterliegen.
Mitschuld: Verdacht gegen Durow in mehreren Delikten
Neben der russischen und der französischen Staatsbürgerschaft hat Pawel Durow auch die der Vereinigten Arabischen Emirate. Dort ist auch sein Unternehmen Telegram registriert.
Der 39-jährige Unternehmer und Milliardär wird offenbar verdächtigt, sich durch fehlendes Eingreifen bei Telegram und unzureichende Kooperation mit Behörden des Drogenhandels, des Betrugs und mehrerer Vergehen im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch mitschuldig gemacht zu haben.
Keine Herausgabe von Nutzerdaten
So verweigere die Plattform grundsätzlich die Herausgabe von Nutzerdaten, berichtet Jakob Vogel aus der Deutschlandfunk-Nova-Nachrichtenredaktion.
In einem Statement heißt es von Telegram: Das Unternehmen halte sich an alle geltenden Regeln, auch an den europäischen Digital Service Act, der große Online-Plattformen zu konsequentem Durchgreifen gegen illegale Inhalte und Aktivitäten verpflichtet. Allerdings – und das steht im Widerspruch zu der gesetzlichen Regelung – sei es absurd, eine Plattform oder deren Besitzer für den Missbrauch ebendieser verantwortlich zu machen.
Pawel Durow selbst vergleicht sein Unternehmen in einem Statement nach seiner Festnahme mit dem Facebook-Konzern Meta und versucht, den Konflikt mit den Strafverfolgungsbehörden auf die Ebene einer Auseinandersetzung alter gegen neuer Medien zu ziehen.
Er könne sich an keine große Social-Plattform erinnern, deren Moderationsbemühungen von Traditionsmedien konsequent gelobt worden seien, schreibt er. Das Filtern und Moderieren von Inhalten auf Telegram scheint er indes weiterhin abzulehnen. Routiniert bezieht er sich am Ende seines Statements auf das Recht der Meinungsfreiheit und der Privatsphäre.
Löschen ist Aufwand
Zwar fordern die Richtlinien von Telegram Nutzende dazu auf, auf Desinformation, illegale Inhalte und Geschäfte, Gewaltaufrufe und Hassbotschaften zu verzichten. In der Praxis aber werden solche Inhalte nur selten oder nur nach großem behördlichem Aufwand in den jeweiligen Nutzungsländern gelöscht, erklärt Martina Schulte. Beispielsweise sind 2022 auf Betreiben von Behörden 64 Telegram-Kanäle für Nutzende in Deutschland gesperrt worden.
"Der Messenger ist für die Propaganda-News, die Russland rund um den Ukraine-Krieg bei uns einschleust, ein wichtiges Tool."
Eine Sonderstellung kommt Telegram und Pawel Durow in der russisch- und ukrainischsprachigen Kommunikationswelt zu: Beide Kriegsparteien nutzen die Plattform zu Propagandazwecken und als Messenger für individuelle Kommunikation. Bei Telegram finden sich die Kanäle verschiedenster Militäreinheiten ebenso wie die sogenannter Mil-Blogger. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und der Putin-Untergebene Dmitri Medwedew betreiben dort persönliche Info-Kanäle.
Dessen jüngster Post bezieht sich auf die Festnahme von Pawel Durow. Dieser werde verfolgt, weil er Russe sei. Dabei habe Pawel Durow Russland doch verlassen, weil er nicht mit den dortigen Strafverfolgungsbehörden habe zusammenarbeiten wollen, merkt Dmitri Medwedew hämisch an. Die Unterschiede zwischen Strafverfahren in Frankreich und solchen in Russland übersieht er dabei großzügig.