Ulrike wächst in den 70er- und 80er-Jahren in einer evangelikalen freikirchlichen Gemeinde auf. Sie ist überzeugt, in die Hölle zu kommen, wenn sie irdische Dinge genießt – also tanzen geht oder Sport macht. Ulrikes Vater verstärkt das, indem er Tun und Denken seiner Tochter kontrolliert und manipuliert.

Das ändert sich als Ulrikes Mutter an Krebs erkrankt, da ist Ulrike 15. Ab diesem Zeitpunkt sind ihre Eltern so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass Ulrike plötzlich mehr Freiheiten bekommt. Sie fängt an Sport zu machen, erst Karate, dann Kickboxen. Zum ersten Mal lernt sie Männer als Kumpels kennen. Ihr Vater hat ihr nämlich immer eingetrichtert, dass sie vergewaltigt werden könnte, wenn sie das Haus alleine verlässt. Und Ulrike entwickelt so etwas wie ein Körpergefühl.

"Ich war völlig körperlos gewesen, hatte irgendwie nie richtig Sport gemacht. Und dann habe ich in den Spiegel geguckt und da Muskeln gesehen. Das kannte ich ja gar nicht."
Durch den Sport fängt Ulrike an, ihren Körper wahrzunehmen.

Ulrike verlässt zum Studieren ihre Heimat

Nach dem Abi entscheidet sich Ulrike, an einer evangelikalen Hochschule in Frankreich zu studieren. Sie will so weit wie möglich weg von Zuhause. In der Zeit dort werden ihr zwei Dinge klar:

  1. Sie will nicht mehr alleine sein und sucht bewusst Freundschaften und Kontakt zu anderen Menschen.
  2. Sie versteht, dass die Bibel auch ganz anders ausgelegt werden kann, als ihre Eltern ihr das bislang eingebläut haben. Ihr wird klar: Sie kann schon jetzt, während sie auf der Erde liebt, eine enge Verbundenheit zu Jesus haben und muss dafür nicht auf ihren Tod und den Himmel warten. Sie darf das Leben also genießen und muss keine Angst vor einem strafenden Gott haben.

Ulrike verlässt die Freikirche

Nach und nach wendet Ulrike sich von der evangelikalen Lehre ab: Sie wechselt die Hochschule und studiert in Tübingen liberale Theologie. Später geht sie noch weiter und tritt aus der evangelikalen Freikirche aus.

"Je älter ich werde, desto mehr merke ich auch, dass ich mich mit meinen Eltern im Grunde gar nicht verstehe, dass wir wenig gemeinsam haben."
Ulrike sagt ihrem Vater, dass sie aus der Freikirche austritt.

Ulrikes Vater ist geschockt, versichert ihr aber, dass er sie trotzdem immer lieben werde. Ulrike glaubt ihm nicht und bricht den Kontakt ab.

Sie fängt eine Therapie an und findet endlich Worte für das, was sie als Kind und Jugendliche erlebt und geglaubt hat. Und: Sie fängt wieder mit Sport an. Dieses mal: Boxen.

Die ganze Geschichte hört ihr hier oder im Podcast.

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Empfehlungen aus dem Beitrag:
  • Ein Buch, das Ulrike Heitmüller inspiriert hat: "Unorthodox" von Deborah Feldman, erschienen im Secession Verlag für Literatur (Dazu gibt es auch eine Miniserie bei Netflix mit dem gleichen Titel)
  • Ein anderes Buch, das Ulrike Heitmüller empfiehlt: "Orangen sind nicht die einzige Frucht" von Jeanette Winterson, erschienen im Berlin Verlag Taschenbuch
  • Sachbuch "Die Sekten-Kinder" von Kurt-Helmuth Eimuth, erschienen im Herder-Verlag
  • Sachbuch "Sektenkinder. Über das Aufwachsen in neureligiösen Gruppierungen und das Leben nach dem Ausstieg" von Kathrin Kaufmann, Laura Illig, Johannes Jungbauer, erschienen im Balance Buch und Medienverlag
  • Sachbuch: "Toxische Gemeinschaften. Geistlichen und emotionalen Missbrauch erkennen, verhindern und heilen" von Stephanie Butenkemper und Dieter Rohmann, erschienen im Herder-Verlag