Noch vor einer Woche stand München auf Tabellenplatz 1, jetzt ist Dortmund vorbeigezogen und hat gute Karten, Deutscher Meister zu werden. Viele in Deutschland scheint es zu freuen, wenn die Bayern verlieren. Warum eigentlich?

Es ist noch nicht soweit. Der FC Bayern München kann sehr wohl noch Deutscher Fußballmeister werden: Dafür müsste Dortmund zuhause gegen Mainz verlieren oder unentschieden spielen und München auswärts in Köln gewinnen.

Viele von denen, die jetzt nicht gerade eingefleischte Bayernfans sind, würden allerdings eine gewisse Genugtuung verspüren, wenn die Bayern das – nach zehn Meistertiteln in Serie – nicht schaffen. Und wenn sie nach dem Aus im DFB-Pokal und der Champions League am Ende der Saison tatsächlich Mal ganz ohne Titel dastünden.

Reaktion auf Ungerechtigkeitsempfinden

Schadenfreude ist die "boshafte Freude über das Missgeschick oder Unglück eines andern" steht im Duden. Wir verspüren sie als eine Reaktion auf Ungleichheitsstrukturen und Ungerechtigkeitsempfinden, typischerweise bei Personen – oder in diesem Fall dauerdominanten Fußballclubs – die uns überlegen sind.

"Wir empfinden Schadenfreude typischerweise bei Menschen – oder in diesem Fall Vereinen – die uns etwas voraus haben. Und wenn die dann mal stolpern, gibt uns das sozusagen ein Gefühl von Gerechtigkeit."
Dominik Peters, Deutschlandfunk Nova

Lea Boecker forscht an der Leuphana-Universität in Lüneburg zur Schadenfreude. Sie sagt, mehrere Faktoren können Anlass zur Schadenfreude bieten, etwa diese:

  • Überlegenheit: Wenn eine andere Person oder Gruppe beispielsweise mehr Geld oder Erfolg hat (und damit auch dominant umgeht)
  • Verdientheit: Wenn ich das Gefühl habe, dass diese Person oder Gruppe ihren Erfolg nicht verdient, weil sie zum Beispiel illegitim zu Erfolg gekommen ist

Bei den meisten Fußballfans dürfte die aktuelle Schadenfreude wahrscheinlich eher mit Punkt 1, also der Überlegenheit und dem Dauererfolg der Bayern, zu erklären sein. Ob die Bayern illegitim zu einem derart erfolgreichen Verein geworden sind, darüber lässt sich nämlich streiten.

Gut gewirtschaftet – auf Kosten der anderen?

Die einen sagen, dass der Club wie kein anderer in Deutschland über Jahrzehnte hinweg clever gewirtschaftet und sich seine Position lange aufgebaut hat. Andere sehen das kritischer und entgegnen: Das sei auf Kosten der kleineren Vereine oder Konkurrenten passiert, denen die Bayern immer wieder ganz bewusst die besten Spieler wegkaufen. Zwei Beispiele: Lewandowski und Hummels. Sie kamen beide von Dortmund zu Bayern.

Fakt ist: Der FC Bayern München ist finanziell und sportlich der mit großem Abstand erfolgreichste deutsche Club.

Vorwurf: Arroganz und Dominanzgehabe

Dass viele Menschen Schadenfreude empfinden, wenn die Bayern mal nicht ganz oben stehen, hat aber nicht nur mit dem Erfolg, sondern auch mit dem Auftreten einiger Verantwortlicher aus der Clubführung zu tun, sagt Dominik Peters von Deutschlandfunk Nova.

Der Status als bester deutscher Club mit den höchsten Ansprüchen soll dauerhaft zementiert werden. Als von oben herab empfanden viele etwa die Rede des Vorstandsvorsitzenden Oli Kahn bei der Meisterfeier 2022, die gerade wieder – mit den entsprechenden Sprüchen dazu – massenhaft geteilt wird.

"Ich hab gehört, dass die Konkurrenz sich Hoffnung macht, im nächsten Jahr Meister zu werden… diese Hoffnung können die sich abschminken."
Oliver Kahn, Vorstandsvorsitzender des FC Bayern München

Typisch ist: Schadenfreude und Häme treffen fast immer Menschen, die ein starkes Dominanzgehabe zeigen. Das war zum Beispiel auch nach der verlorenen Präsidentschaftswahl Donald Trumps zu beobachten. Oder regelmäßig im Alltag: Wer freut sich nicht, wenn der drängelnde Poser, der uns gerade mit seinem dicken Auto überholt hat, am Ende dann doch vor uns an der roten Ampeln warten muss?

Sozial wenig erwünscht, aber menschlich

Schadenfreude ist eine sozial wenig erwünschte Funktion, sagt Psychologin Lea Boecker. Wir glauben oft, dass wir schlechte Menschen sind, wenn wir sie empfinden oder zeigen. Auch ihre Proband*innen würden es nicht gern zugeben, wenn sie schadenfroh sind. Doch Schadenfreude kann auch voll in Ordnung sein, so Lea Boecker – denn ich fühle mich dadurch besser.

"Schadenfreude ist erstmal ein sehr menschliches Gefühl, weil es psychologisch gute Gründe dafür gibt. Wenn es einer Person, die uns überlegen ist, kurz schlecht geht, dann wertet das unser Selbstwertgefühl wieder auf."
Lea Boecker, Psychologin

Die Psychologin sagt deshalb auch: Menschen, die ein geringes Selbstwertgefühl haben und sich quasi chronisch unterlegen fühlen, sind besonders anfällig dafür, Schadenfreude zu empfinden. Schadenfreude ist also quasi eine Art Rache der Machtlosen.

Schadenfreude kann Wirkung zeigen

Wie die Schadenfreude auf die Mächtigen und Überlegenen wirkt, ist individuell unterschiedlich. Bei ihnen kann eine Art Wut und Jetzt-erst-Recht-Haltung entstehen. Es kann aber bestenfalls auch dazu führen, dass Personen oder Gruppen, die Ziel von Schadenfreude werden, ihr Verhalten tatsächlich korrigieren – dass sie also zum Beispiel weniger dominant auftreten und etwas demütiger werden.

Ob das beim FC Bayern geschieht, wenn sie am Samstag nicht Deutscher Meister werden? Wir werden sehen. Forschende sagen tatsächlich: Schadenfreude hat das Potenzial, hierarchische Unterschiede ein bisschen auszugleichen.

Shownotes
FC Bayern und die Meisterschaft
Warum wir so auf Schadenfreude stehen
vom 26. Mai 2023
Moderation: 
Diane Hielscher
Gesprächspartner: 
Dominik Peters, Deutschlandfunk Nova