Die Presse nannte es das "Nadelöhr der Freiheit": Insgesamt 1,35 Millionen Menschen passierten dieses Nadelöhr bei ihrer Flucht aus der DDR. Das Notaufnahmelager Marienfelde war ab 1953 ihre Anlaufstelle. Heute ist der Ort eine Erinnerungsstätte.
Es sind dramatische Situationen, die sich in den mehr als 40 Durchgangs- und Flüchtlingslagern in Berlin abspielen. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben viele Tausend Bewohner die Sowjetische Besatzungszone verlassen und in West-Berlin Unterschlupf gesucht.
Anfang der 1950er Jahre kommen immer mehr Menschen in den Westteil der Stadt, weil die innerstädtischen Sektorengrenzen die einzigen noch einigermaßen offenen Grenzstellen sind. In West-Berlin werden Flüchtlingsunterkünfte gebaut, aber sie sind hoffnungslos überfüllt.
1952 bewilligt die Bundesregierung zwei Millionen D-Mark zum Aufbau eines neuen zentralen Notaufnahmelagers in Berlin. Der Standort ist Marienfelde im heutigen Bezirk Tempelhof-Schöneberg im Süden Berlins. 280 Wohnungen entstehen, die für rund 10.000 Menschen Platz bieten sollen.
Im April 1953 wird in Anwesenheit von Bundespräsident Theodor Heuss der erste Bauabschnitt eingeweiht. "Der Westen", so Heuss, "wisse um die qualvollen Entschlüsse, Besitz, Beruf, Amt, vertraute Lebenslandschaft" zu verlassen und wehrt sich damit gegen den Vorwurf der DDR-Regierung, DDR-Bürgerinnen und –Bürger "anzuwerben".
Der Mauerbau 1961 ist eine Zäsur
Das Notaufnahmelager Marienfelde nimmt Ende August 1953 seine Arbeit auf. Kurz zuvor ist der Flüchtlingsstrom noch einmal angewachsen, nachdem der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR mit Hilfe sowjetischer Panzer niedergeschlagen worden war. In zahlreichen Gerichtsverfahren übt die DDR-Regierung Rachejustiz an den "Feinden des Sozialismus". Der Andrang in Marienfelde bleibt bis zum Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 hoch, danach nehmen die Zahlen drastisch ab. Teile der Wohnungen werden der Berliner Bevölkerung zur Verfügung gestellt.
Während der Wendezeit 1989/90 kommen noch einmal sehr viele Menschen aus der DDR ins Aufnahmelager Marienfelde, weil sie Angst haben, die Grenze würde wieder zugemacht. Heute erinnert eine Erinnerungsstätte nicht nur an die Geschichte der deutsch-deutschen Fluchten, sondern auch an die anderer Geflüchteter.
Unser Bild oben zeigt Besucher im Museum Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde.
Ihr hört in "Eine Stunde History":
- Der Experte für die Geschichte der DDR, Helge Heidemeyer, beschreibt die Gründe, die die Menschen aus der damaligen DDR vertrieben haben
- Der Münchner Historiker Dierk Hoffmann beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Fluchtbewegung auf Wirtschaft und Gesellschaft der DDR
- Bettina Effner von der "Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde" schildert die Arbeit der Erinnerungsstätte an historischem Ort
- Deutschlandfunk-Nova-Geschichtsexperte Matthias von Hellfeld beschreibt die Entwicklung der Flüchtlingszahlen von Ost nach West seit der Gründung der DDR im Oktober 1949
- Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Nadine Kreuzahler erinnert an die Eröffnung des Notaufnahmelagers im August 1953
- Helge Heidemeyer über Gründe für die Flucht aus der DDR
- Dierk Hoffmann über die Folgen der Flucht für die DDR-Wirtschaft
- Bettina Effner über die Erinnerungsstätte am historischen Ort