Noras beste Freundin wollte nicht so viel Nähe wie sie selbst. Sie beschreibt, wie es der Freundschaft heute geht. Soziologin Leoni Linek erklärt, warum wir in Freundschaften mehr Beziehungstalk machen sollten.
Wenn Nora was unternehmen wollte, hat sie immer zuerst bei dieser Freundin gefragt, ob sie mitmacht. Sie spürt einfach eine große Übereinstimmung: "Ich denke auch heute noch, dass wir thematisch extrem auf einer Wellenlänge sind." Die beiden waren jahrelang beste Freundinnen.
Nora hat am liebsten mit ihr Zeit verbracht. Aber etwas stimmt nicht, ohne dass die beiden darüber sprechen konnten. "Wir wollten uns nicht verletzen, wir waren recht höflich," erzählt Nora, sie hat damals gespürt, dass die Freundin manchmal mehr Abstand wollte: "Wir haben nie kommuniziert, was wir uns eigentlich unter einer Freundschaft vorstellen."
Planung versus Harmonie
Die beiden waren zusammen in England, sie haben sich gegenseitig Geschenke gemacht. Heute sind sie gut befreundet, nachdem sie sich einmal richtig gestritten hatten. Nora hat ihr zwischenzeitlich sogar die Freundschaft gekündigt. Heute findet sie: "Man sollte immer bei sich selber gucken."
"Ich hatte noch nie eine Freundin, wo es thematisch, also inhaltlich so gematcht hat. Da sind wir so wie eine Person."
2021 hat Nora sie nach ihrer Meinung zu einem Bewerbungsschreiben gefragt. "Ihre Meinung hat mir nicht so gepasst", sagt Nora heute, und sie habe dann überreagiert. Die beiden haben sich gestritten, viel Unausgesprochenes kam auf den Tisch, und es stellte sich heraus, dass Noras Freundin sich in der Freundschaft überfordert gefühlt hat. Sie wollte nicht Noras erste Bezugsperson sein.
"Ich war mit ihrer Antwort nicht happy und habe nicht so cool reagiert. Wir kamen in einen Streit."
Nora war verletzt, weil nun im Nachhinein verzögert herauskam, dass ihrer Freundin so einiges zu viel gewesen war: die Englandreise und gemeinsame Weihnachtseinkäufe. Nora hat sich gefragt, was an dieser Freundschaft echt ist. Nora sagt heute: "Ich weiß, dass sie keine falsche Person ist. Ich habe mich sehr verletzt und ein bisschen verarscht gefühlt."
"Mit der Zeit habe ich noch mehr darüber nachdenken können und wusste, dass ich sie als Freundin nicht verlieren möchte."
Heute meldet sich Nora seltener. Da ist eine Hemmschwelle. Nora sagt über diese Schwelle: "Ich weiß auch nicht, ob die wieder weggeht. Es ist okay, wie es ist." Beide unternehmen nun entspanntere Sachen – nicht so stressige. Nora teilt nicht mehr jedes Alltagsproblem mit und das funktioniert. Gemeinsam verreisen werden sie wohl nicht mehr.
"Letztendlich haben wir einen Kompromiss gefunden, dass ich mich immer melden kann, wenn ich möchte, sie sich aber auch die Zeit lassen kann, die sie braucht, um zu antworten."
Freundschaften gleichen heute öfter einer Art Wahlfamilie, sagt Leoni Linek. Die Soziologin forscht zum Thema Freundschaft und weist darauf hin, dass traditionelle Paar- und Familienbeziehungen tendenziell an Bedeutung verlieren.
"Immer weniger Menschen leben in traditionellen Paarbeziehungen und Familien. Wir sehen: Scheidungsraten gehen hoch, Eheschließungen gehen runter."
Sie vergleicht die Entwicklung von Freundschaftsbeziehungen mit dem, was die Soziologin Eva Illouz für romantische Liebesbeziehungen festgestellt hat: Über Gefühle zu sprechen und die Beziehung zu bereden ist zu einer wichtigen Kompetenz in der Liebe geworden. Die ideale Liebe sei zu einer "redseligen Liebe" geworden, sagt die Soziologin Eva Illouz. Und auch in Freundschaften wird der Beziehungstalk wichtiger.
Freundschaftsregeln ohne Worte
Dass in einer Freundschaft gerade nicht alles sprachlich klar geregelt wird - das sei bisher die gängige Praxis. Leoni beschreibt es so: "Unterschiedliche Erwartungen werden oft non-verbal ausgehandelt. Die etablieren sich über eine bestimmte Praxis." Juristische und kulturelle Normen griffen in Freundschaften eher nicht. Das war bisher auch die besondere Qualität von außerfamiliären Beziehungen, sprich Freundschaften: Darin sei eine große Freiheit angelegt, sagt die Soziologin. Das könnte sich verändern - weil wir Freundschaften einen so hohen Stellenwert beimessen.
"Es gibt keine Gesetze, die vorschreiben, was wir in Freundschaften voneinander zu erwarten haben."
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- Nora, ihre engste Freundschaft hat sich nach einem Streit verändert
- Leoni Linek, Soziologin, Technische Universität Dortmund