Friederike Lutz, 37, ist Internistin und Rheumatologin. Nach neun Jahren Klinikalltag hat sie letztes Jahr ihren Job gekündigt und ist für vier Monate nach Lesbos gegangen - in ein Flüchtlingslager, das einem Gefängnis gleicht.
Als Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie ist Friederike Lutz es gewohnt, mit modernster medizinischer Ausstattung zu arbeiten. Die gibt es in den Flüchtlingslagern auf der griechischen Insel Lesbos aber meistens nicht. Um irgendwo ein Ultraschallgerät her zu bekommen, musste Friederike ziemlich lange betteln.
Auch mal eben die Blutwerte eines Patienten zu checken, war meistens nicht möglich. Für Friederike war das eine ziemliche Umstellung. "Man fühlt sich so ein bisschen nackig", sagt sie. Aber sie hat schnell gelernt, mit dem auszukommen, was sie zur Verfügung hat und sich viel mehr auf ihre Sinne zu verlassen.
"Es ist eine ganz andere Welt an Medizin. Man sieht auch viel mehr den Menschen dahinter. Man muss sich viel mehr drum kümmern, wie geht's dem, wie schaut der so aus, wie bewegt der sich?"
Nach zwei Facharztausbildungen und vielen Jahren in einer Münchner Klinik, brauchte Friederike Lutz im vergangenen Jahr einen Wechsel. Sie wollte dort medizinische Hilfe leisten, wo Menschen sie am dringendsten brauchen.
Von Oktober bis Ende Januar 2021 war sie auf Lesbos im Einsatz. Zuerst hat sie für eine britische NGO in einer Unterkunft für geflüchtete Frauen gearbeitet, dann war sie als Ärztin für die NGO "Medical Volunteers" im Camp "Moria 2" im Einsatz. Das Camp wurde im vergangenen Jahr errichtet, nachdem das alte Moria Camp im September komplett abgebrannt war. Viele internationale Helferinnen und Helfer sagen, dass die Lage im neuen Camp noch schlimmer ist als im alten. Aktuell leben dort rund 7000 Geflüchtete.
"Es ist eigentlich alles extrem kontrolliert, unterdrückt - eigentlich wie in einem Gefängnis."
In ihrer Arbeit wurde Friederike auch immer wieder mit den persönlichen Flucht- und Lebensgeschichten der Menschen konfrontiert. Die meisten von Ihnen haben schwere Traumata und bräuchten vor allem auch psychologische Hilfe. Die ist im Camp aber kaum vorhanden.
"Man kommt da natürlich an seine Grenzen, weil man nur medizinische Hilfe leisten kann", sagt Friederike. Bei ihrer Arbeit musste sie akzeptieren, dass sie die politische Grundsituation nicht ändern kann und sich auf die individuelle Hilfe konzentrieren muss.
"Man kann diese Grundsituation nicht ändern, man muss sich dann wirklich auf das Medizinische konzentrieren und auf das kleine Steinchen und das kleine Rädchen, was man dazu beitragen kann. Und dann funktioniert das ganz gut."
Trotzdem hat es sie fassungslos gemacht, wie es ein solches Flüchtlingscamp mitten in Europa geben kann - und wie schnell die Menschen auf Lesbos vergessen zu werden scheinen.
"Was ist denn das mit Europa, wozu gibt es die Europäische Union, wenn wir an so einer wichtigen Thematik scheitern?"
Im Deep Talk mit Rahel Klein erzählt sie, wo sie trotz allem auch Hoffnung auf Lesbos gesehen hat, wie die Zeit dort ihr Leben verändert hat und warum sie sich nicht mehr vorstellen kann, einfach in einer deutschen Klinik zu arbeiten.
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