Fünf Jahre alt ist Angela Merkels Spruch "Wir schaffen das". 2016 veröffentlichte Katja Schneidt, die sich für Geflüchtete engagiert, ihren Bestseller "Wir schaffen es nicht". Mit ihr haben wir darüber gesprochen, wo es ihrer Meinung nach noch hakt in Sachen Asylpolitik und Integration.

Seit über 30 Jahren ist Katja Schneidt ehrenamtlich in der Geflüchtetenhilfe aktiv. Sie selbst ist schon vor Jahren zum Islam konvertiert, lebt mit einem Mann aus Algerien zusammen und zeigt auf Fotos gerne zwei Gesichter von sich: Mal komplett verschleiert, mal mit offenem Haar. Was die Geflüchtetenpolitik von Angela Merkel angeht, ist sie aber weiterhin mehr als nur skeptisch.

Sorge vor wachsenden Parallelgesellschaften

Es sei einfach, zu sagen, wir schaffen das. Millionen Geflüchtete mit dem Notdürftigsten in irgendwelchen Notunterkünften zu versorgen, sei nicht das Problem. Doch reiche das noch lange nicht aus.

"Wenn ich sage, ich werde zehn Millionen Flüchtlinge mit dem Notdürftigsten versorgen können, dann: Klar, das schaffen wir! Aber das ist ja nicht das Ende der Fahnenstange."
Katja Schneidt, Buchautorin

Katja Schneidt beobachtet eine zunehmende Ghettoisierung in Deutschland. So müssen Geflüchtete oft über einen sehr langen Zeitraum in den Unterkünften bleiben, die ihnen zugewiesen werden – etwa, weil sich ihre Asylverfahren über mehrere Jahre hinziehen. Und das verhindere das Zusammenwachsen.

Schneidt plädiert für schnellere Asylverfahren

Schon in den Gemeinschaftsunterkünften sei festzustellen, dass die Leute nach Nationalitäten stets unter sich bleiben, sagt Katja Schneidt. Mit den Deutschen in Kontakt zu treten sei nochmals schwieriger - das liege auch an der Sprachbarriere, aber vor allem auch daran, dass unsere Kultur und Lebensweise so unterschiedlich sei.

Es müssten sich mehrere Dinge ändern, fordert Katja Schneidt. So sollten die Asylverfahren deutlich schneller abgewickelt werden – und zwar innerhalb von drei bis sechs Monaten. Asyl sollen alle bekommen, die in ihrem Land um ihr Leben bangen müssen. Dabei sollten Behörden nicht erst darauf warten, bis sich Menschen in Boote setzen, sondern Hilfsbedürftige sollten aktiv aus den Ländern herausgeholt werden.

"Es sollen alle Asyl bekommen, die in ihrem Land um ihr Leben bangen müssen. Ganz klar!"
Katja Schneidt, Buchautorin

Auch für die Armutsflüchtlinge, die es oft in afrikanischen Ländern gebe, fordert Katja Schneidt Hilfe. Hier solle aber versucht werden, die Menschen schon vor Ort in ihren Ländern zu unterstützen. Wer kein Asylrecht in Deutschland erhalte, sollte dagegen konsequenter und frühzeitig abgeschoben werden.

Gemeinsame Feste feiern

Für die Integration derjenigen, die tatsächlich Asyl bekommen, fordert Katja Schneidt dringend mehr Personal. Und das müsse aktiv dafür sorgen, dass sich Deutsche und Geflüchtete im Alltag begegnen. Das funktioniere aber nicht durch irgendwelche Integrationskurse, sagt sie. Es brauche Sozialarbeiter, die aktiv in die Familien reingehen, die gemeinsame Feste stattfinden lassen, sodass sich Freundschaften entwickeln können. Das geschehe immer noch viel zu selten. Ansonsten bleiben die Menschen unter sich. Das gelte aber genauso auch für die Einheimischen, sagt sie.

Mit Blick auf die vergangenen fünf Jahre hätten wir in Deutschland in Sachen Integration viel zu wenig erreicht. Denn es habe nichts mit Flüchtlingshilfe zu tun, wenn gut betuchte Menschen ihren Kleiderschrank leeren und Markenklamotten sortieren.

"Wenn ich als gut betuchter Mensch zweimal im Jahr meinen Kleiderschrank entleere und die Markenklamotten zu einer Flüchtlingshilfe bringe, dann ist das schick, aber hat nichts mit echter Flüchtlingshilfe zu tun."
Katja Schneidt, Buchautorin

Dort, wo die Leute Tuberkulose oder die Krätze hätten, bräuchten die Menschen Hilfe, sagt Katja Schneidt. Wenn sie oder andere Helfende dort nicht hingehen würden, dann mache es auch kein anderer, sagt sie. Das sei auch für sie sehr anstrengend, doch ohne fremde Hilfe würden die Menschen sonst nicht klarkommen.

Shownotes
Fünf Jahre "Wir schaffen das"
Autorin Katja Schneidt: "Merkel hat ja nie gesagt, was wir schaffen"
vom 11. August 2020
Autor: 
Martin Krinner, Deutschlandfunk Nova