Hannah Brinkmann hat die Geschichte ihres Onkels als Graphic Novel gezeichnet: Hermann ist 1971 ein überzeugter Pazifist und wird gegen seinen Willen von der Bundeswehr eingezogen und nimmt sich schließlich das Leben.
Als Hannah Brinkmann 13 Jahre alt ist, stirbt ihre Großmutter. Im Nachlass findet sie die Todesanzeige ihres Onkels. Hermann hatte als junger Mann Suizid begangen – das wusste sie bereits. Aber bisher war das immer sehr abstrakt für sie gewesen. Die Todesanzeige hingegen war sehr detailliert und konkret. "Es war eine sehr politische Todesanzeige, wo eben diese letzten Lebensdaten aufgelistet waren und auch stand, was ihm widerfahren ist", erinnert sich Hannah. In der Todesanzeige steht auch, dass ihr Onkel den Kriegsdienst verweigern wollte und dass dies jedoch nicht anerkannt wurde.
"Diese Todesanzeige habe ich so ein bisschen mit mir rumgetragen. Bis ich dann erst 2016 wirklich angefangen habe, mich damit intensiver zu beschäftigen."
Hannah erkennt dann erst die ganze politische Dimension. "Und das war, glaube ich, der Moment, wo ich gesagt habe okay, das das will ich erzählen." Sie fasst auch die Entscheidung, die Geschichte nicht nur für sich und ihre Familie aufzuzeichnen – sondern in einem größeren Maßstab, "weil ich hatte das Gefühl, es ist ein gesellschaftliches Thema."
Wehrdienstpflicht in der neu gegründeten Bundeswehr
Der Hintergrund: 1956 war – nach dem Zweiten Weltkrieg – die Bundeswehr neu gegründet worden und junge Männer wurden zum Dienst an der Waffe verpflichtet.
Allerdings ist im deutschen Grundgesetz verankert, dass jeder deutsche Staatsbürger das Recht hat, den Kriegsdienst zu verweigern. Niemand darf gegen sein Gewissen gezwungen werden, den Dienst an der Waffe zu leisten. Anfang der 70er-Jahre haben sich dann viele junge Männer auf diesen Paragrafen berufen, um den Wehrdienst zu verweigern. "Und mein Onkel war eben einer von von denen", erzählt Hannah im Interview.
"Das hat zu diesem absurden Anerkennungsverfahren geführt, in denen der Antragsteller, also der Kriegsdienstverweigerer, beweisen musste, was er denkt."
Die Bundesregierung hat dann ziemlich bald ein dreistufiges Prüfungsverfahren eingeführt, in dem dann das Gewissen der Antragsteller geprüft werden sollte. Dabei sollte geprüft werden, ob die Verweigerer wirkliche Gewissensbisse haben oder ob sie Gewissensgründe einfach nur vorschieben.
Hermanns Gewissensbisse werden nicht akzeptiert
Hermann, Hannahs Onkel, wurde in der ersten und zweiten Instanz abgelehnt und wurde schließlich eingezogen. Er hatte dann noch einmal versucht, sich wegen Depressionen aus dem Wehrdienst entlassen zu lassen, aber auch das wurde ihm nicht bescheinigt. "Und dann hat er sich das Leben genommen", sagt Hannah, die 1990 geboren ist und ihren Onkel nie kennengelernt hat.
"Im Laufe der Arbeit konnte ich durch diese gewisse Distanz etwas besser darauf zurückblicken – und dann eben auch nicht nur diesen sehr persönlichen, sondern auch den politischen Aspekt beleuchten."
Hannah Brinkmann hat die Geschichte ihres Onkels – über die damals auch öffentlich berichtet wurde – recherchiert und als Graphic Novel gezeichnet. Sie glaubt, gerade weil sie nicht mehr so nah dran war an den Geschehnissen – wie etwa ihre Mutter oder andere Mitglieder der Familie – sei es etwas einfacher gewesen, nicht nur die persönliche Geschichte zu beleuchten, sondern auch die politische und gesellschaftliche Ebene zu berücksichtigen.
"Die Technik hat mir erlaubt, Hermanns Gefühle wie so eine parallele Ebene mitlaufen zu lassen und dann auch so ein bisschen eskalieren zu lassen.“
Hannah Brinkmann gehört zu einer Generation, in der es die Wehrpflicht nicht mehr gibt. Aber für die Comic-Zeichnerin ist die Geschichte auch eine Geschichte über Grundrechte – und was es bedeutet, sie zu kennen und dafür auch einzustehen.
"Ich glaube, dass ist ganz wichtig für junge Menschen, sich auch damit auseinanderzusetzen."
Das Buch
Hannah Brinkmann: "Gegen mein Gewissen", 2021, erschienen im Avant-Verlag, 232 Seiten.
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