Zwei Wellen von terroristischen Anschlägen erschüttern das Russische Reich im 19. Jahrhundert. Die Historikerin Anke Hilbrenner erklärt in ihrem Vortrag, wie die Entstehung von Massenmedien und terroristischer Gewalt miteinander verknüpft sind.
Am 1. März 1881 wird der russische Kaiser Alexander II. bei einem Bombenschlag ermordet. Der Tod Alexander II. gilt in der Geschichtsforschung als ein globales Ereignis. Weltweit wurde darüber berichtet.
Am Beispiel des Terrorismus im Russischen Reich lässt sich historisch zeigen, wie mediale Öffentlichkeit und terroristische Anschläge zueinander in Beziehung stehen, sagt die Historikerin Anke Hilbrenner.
"Der Terrorismus im Russischen Reich im späten 19. Jahrhundert ist ein wichtiges Beispiel für die Terrorismusgeschichte, weil man hier die Verknüpfung zwischen Entstehung einer Medienöffentlichkeit und Entstehung terroristischer Gewalt sehr gut beobachten kann ."
Anke Hilbrenner ist Professorin für Osteuropäische Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und hat ein Buch über die Geschichte des Terrorismus im Russischen Reich geschrieben. Das Ziel von Terrorismus ist es, Unsicherheit und Schrecken zu verbreiten. Zugleich aber sollen mit terroristischen Anschlägen auch Sympathie und Unterstützung erlangt werden, erklärt Hilbrenner in ihrem Vortrag.
Suche nach einer emotionalen Gemeinschaft
Mit ihren Anschlägen, so Hilbrenner, hätten Terroristen und Terroristinnen versucht, eine emotionale Gemeinschaft herzustellen, um die Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen. Ihre Gewalt legitimierten sie mit einer Täter-Opfer-Umkehr, indem sie die Opfer ihrer Anschläge als die eigentliche Gewalt darstellten, gegen die sie kämpften. Um diese Botschaft verbreiten zu können, waren die Attentäter auf Medien angewiesen.
"Die Terroristen versuchen, sich selbst als Opfer und die Opfer der terroristischen Anschläge als Täter darzustellen."
Auch das Geschlecht der Terroristen spielte eine Rolle. Viele der Attentäterinnen waren weiblich. Für sie war es leichter, sich als Märtyrerinnen und Opfer darzustellen. Die historische Terrorismusforschung kann uns dabei helfen, auch heute die Rechtfertigungsstrategien und Funktionsweisen terroristischer Anschläge zu verstehen, sagt Hilbrenner.
Anke Hilbrenner ist Professorin für Osteuropäische Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Ihr Vortrag hat den Titel "Gewalt als Sprache der Straße: Terrorismus und die Suche nach emotionaler Gemeinschaft im Russischen Reich." Sie hat ihn am 2. März 2023 gehalten im Rahmen der Reihe "Forschung im Fokus" des Bürgeruniversitäts-Programms der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und der Evangelischen Stadtakademie.
Unser Bild zeigt den Bombenanschlag auf den russischen Kaiser Alexander II. auf einer Gravur aus dem Jahre 1881.