Politische Gegner mit Gift umbringen: Das Beispiel von Alexej Nawalny zeigt, wie beliebt Gift als Tötungsmittel noch immer ist. Denn: Giftige Substanzen sind außerordentlich wirksam, sagt Kriminalbiologe Mark Benecke. Zumal eine Vergiftung oft unauffällig bleibe.

Seit Samstag (22.08.20) untersuchen die Ärztinnen und Ärzte der Berliner Charité den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny. Jetzt wurde bekannt: Die klinischen Befunde des Kremlkritikers deuten auf eine Vergiftung. Bisher sei die genaue Substanz unklar, so die Charité, die Befunde weisen aber auf eine Substanz aus der Wirkstoffgruppe der Cholinesterase-Hemmer hin.

Eingesetzt wird der Wirkstoff etwa zur Behandlung von Alzheimer oder Muskelschwäche. Der chemische Stoff ist aber auch in Nervengiften wie Nowitschok enthalten. Das Gift wurde 2018 beim Anschlag auf den britisch-russischen Doppelagenten Sergej Skripal eingesetzt.

"Die Substanzen, die bei Giftanschlägen verwendet werden, sind außerordentlich wirksam."
Mark Benecke, Kriminalbiologe

Sergej Skripal, Alexej Nawalny, der ehemalige russische Geheimdienstmitarbeiter Alexander Litwinenko oder Kim Jong-nam, der Halbbruder des nordkoreanischen Machthabers Kim-Jong-un: Die Liste von Giftanschlägen ist lang.

Nicht in allen Fällen führte ein solches Attentat aber zum Tod des anvisierten Opfers – obwohl die verwendeten Substanzen außerordentlich wirksam sind, wie Kriminalbiologe Mark Benecke erklärt. Die genaue Dosierung des Gifts sei oft die Schwierigkeit.

Die Dosis macht das Gift

Wird die Substanz beispielsweise wie im Fall von Alexej Nawalny mit Tee vermischt, sei die Wirkung etwa davon abhängig, wie viel die Zielperson von dem Getränk zu sich nimmt und auch wie körperlich gesund sie sei. "Es gibt auch Fälle, wo die Leute einfach unheimlich langsam sterben", so Mark Benecke. Bei Nervengiften der vierten Generation wie Nowitschok gebe es zudem – verständlicherweise – keine Tests an Menschen. Allenfalls Versuche mit Tieren im Labor wären denkbar.

"Die Nervengifte der vierten Generation, die gibt es ja eigentlich gar nicht. Das heißt, das ist schwierig, die vorher an Menschen zu testen. Du kannst die bestenfalls vorher noch mal im Labor an irgendwelchen Tieren testen. Aber das war es dann auch."
Mark Benecke, Kriminalbiologe

Ziel eines Mordanschlags mithilfe von Gift ist in jedem Fall aber, Personen möglichst unauffällig zu töten, sagt er. Das könne Macht demonstrieren und gleichzeitig die Spuren eines Geheimdienstes oder einer anderen Organisation verwischen. Mark Benecke hat beispielsweise Kopien alter Akten des DDR-Geheimdienstes, die verschiedene Gifte zur Tötung von Menschen dokumentieren.

Vergiftung: So unauffällig wie möglich

Die Idee dahinter: Soll die Vergiftung unauffällig bleiben, sollte das Opfer relativ langsam sterben, erklärt er. Ist das Gift allerdings zu hoch dosiert, und es kommt zum Tod des Opfers direkt, nachdem er zum Beispiel aus einer Tasse Tee getrunken hat, sei das zu eindeutig.

Damit eine Person an der Vergiftung stirbt, reicht oft schon eine staubkorngroße Menge einer Substanz aus, sagt Mark Benecke. Nervengifte zum Beispiel schwächen die Übertragung der Signale zwischen Nerven.

Der Fall Nawalny

Bei Alexej Nawalny geht es um eine Substanz aus der Wirkstoffgruppe der Cholinesterase-Hemmer. Cholinesterase ist ein Enzym, das beim Menschen für den Abbau von Botenstoffen verantwortlich ist, die Reize zwischen den Nervenzellen weiterleiten.

Wird das Enzym blockiert oder gehemmt, kann das zu einer Überaktivität anderer Körperfunktionen führen, weil der Abbau der Botenstoffe nicht mehr stattfindet. Die Folge: Muskelkrämpfe, die in einer Herz- und Atemlähmung enden können.

Verläuft eine Vergiftung also möglichst unauffällig, kommt es bei den Ermittlungen darauf an, überhaupt erst nach Spuren, Rückständen und Abbauprodukten von Giften zu suchen, sagt er. In Bezug auf Vergiftungsfälle in unserer Gegenwart "sehen wir echt nur die Spitze des Eisbergs", so der Kriminalbiologe.

Shownotes
Mordanschläge
Gift – sehr wirksam, aber schwer dosierbar
vom 25. August 2020
Moderator: 
Till Haase
Gesprächspartner: 
Mark Benecke, Kriminalbiologe