Die nüchternen Briten staunen über die deutsche Flüchtlingshilfe. Sie wollen mit Blick auf die Flüchtlingsproblematik Herz und Verstand benutzen, sagt Großbritannien-Korrespondent Friedbert Meurer. Uns unterstellen sie, dass wir nur das Herz benutzen.
In England gebe es eine kritische Haltung gegenüber der deutschen Hilfsbereitschaft. Manche Menschen würden sich fragen, berichtet Friedbert Meurer, ob die Deutschen die syrischen Flüchtlinge nicht nur als billige Arbeitskräfte sehen und das Motiv eher Eigennutzen sei, wenn in Deutschland Flüchtlinge aufgenommen werden. Schließlich hätte Deutschland ja ein Geburtenproblem, Großbritannien dagegen nicht, sagt Friedbert Meurer.
"Die Briten wollen Herz und Verstand benutzen und sie unterstellen uns, dass wir nur das Herz benutzen."
Der britische Premierminister David Cameron wolle sich der Flüchtlingsproblematik mit Herz und Verstand nähern, berichtet Friedbert Meurer. Das Herz sage: Flüchtlinge herein lassen, der Verstand sage, das Problem müsse anders gelöst werden.
"Die Briten sind beeindruckt von der Hilfsbereitschaft der Deutschen. Sie reiben sich die Augen: Wie kann es sein, dass die Ankunft von Flüchtlingen bejubelt wird?"
Der konservative Flügel der Tory-Partei lehne die weitere Aufnahme von Flüchtlingen ab, berichtet der Korrespondent. Ergebnis von dieser harten Politik war die Sicherung des Tunnels bei Calais, um Flüchtlinge davon abzuhalten, illegal nach England zu gelangen. Seitdem das Foto von dem kleinen kurdischen Jungen, der tot an einem türkischen Strand angespült wurde, durch die britischen Medien ging, sei der Druck auf David Cameron gestiegen, von dieser harten Haltung gegenüber der Aufnahme von Flüchtlingen abzuweichen. Infolgedessen ist sein Zugeständnis, sagt Friedbert Meurer, 20.000 Flüchtlinge bis 2020 aufzunehmen. Diese würden aber nicht aus anderen europäischen Ländern kommen, sondern direkt aus den Flüchtlingsgebieten. Friedbert Meurer hält das für einen geschickten politischen Schachzug und rechnet nicht damit das David Cameron die Zahl erhöhen wird.
Öffentlichkeit macht Druck
Druck machen viele Prominente wie Emma Watson, Jude Law, Keira Knightly: Sie haben die Regierung aufgefordert, Flüchtlinge aufnehmen, berichtet Friedbert Meurer. Auch in Großbritannien gibt es viele Hilfsangebote Freiwilliger. Die schottische Regierungschefin von der schottischen Nationalpartei SNP, Nicoal Sturgeon, sagte, sie nehme persönlich in ihrem Haus eine Flüchtlingsfamilie auf, erzählt Friedbert Meurer. "Frage ist nur: Wie sollen die Flüchtlinge dorthin kommen?," weil die offizielle Politik hart bleiben wird.
"Leute fahren nach Calais und haben Medikamente, Lebensmittel und Kleider dabei, um den Flüchtlingen zu helfen. Ein 92-jähriger Armeeveteran hat gesagt: Ich habe noch ein Zimmer frei in meiner Wohnung."
Diese Hilfsbereitschaft ist aber nur in einem Teil der britischen Bevölkerung vorhanden. Die Flüchtlingsdebatte an sich hat eine negative Auswirkung auf das anstehende EU-Referendum in Großbritannien, glaubt Friedbert Meurer.
"Die Flüchtlingskrise ist Wasser auf die Mühlen der EU-Gegner."
Wochenlang habe ein EU-Bashing auf den Titelseiten stattgefunden, die EU würde versagen. Die Briten nehmen die Haltung ein: "Wie gut, dass wir nicht am Schengen-Abkommen teilnehmen, sondern dass wir unsere Grenze haben". Selbst der aussichtsreiche Kandidat für den Labour-Parteivorsitz, Jeremy Corbyn, lasse die Tendenz erkennen, sagt Friedbert Meurer, dass er zwar für die Aufnahme von Flüchtlingen sei, aber gegen eine Mitgliedschaft der Briten in der EU.
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