Nicht jeder mit lockigen Haaren ist glücklich damit. Manche glätten ihre Haare – etwa mit chemischen Mitteln. Die können jedoch sehr schädlich sein.

Wenn wir verschiedene Frisurenstyles ausprobieren wollen, dann hängt viel von unserem Haartyp ab, was geht und was nicht. Auch die Haarpflege kann sich da sehr unterscheiden – je nachdem, ob jemand zum Beispiel von Natur aus glattes oder lockiges Haar hat.

Journalistin: "Schwarze Frauen wollen sich anpassen."

Journalistin Ciani-Sophia Hoeder sagt: "Schwarze Frauen geben im Durchschnitt das Neunfache mehr aus als weiße Frauen. Und das liegt daran, dass sie sehr lange gelernt haben, dass sie sehr viel Energie und Zeit investieren müssen, ihr Aussehen so umzuändern, damit es in eine weiße Welt hineinpasst. Und das ist ein schmerzhafter Prozess.“ Ciani-Sophia Hoeder meint damit unter anderem, dass Menschen mit Afrohaaren – besonders Frauen (oder weiblich gelesene Menschen) – sich bis heute ihre Afrohaare glätten. Und zwar vor allem mit chemischen Haarglättungsmitteln, die aus gesundheitlicher Sicht gar nicht gut sind.

Je mehr man leidet, desto besser das Ergebnis

Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Wiebke Lehnhoff hat sich genauer damit beschäftigt und sagt: "Es gibt unterschiedliche Arten von chemischen Haarglättungsmitteln – einige werden auch Relaxer genannt, weil sie die lockigen Haare sozusagen entspannen. Es gibt Lye-Relaxer und No-Lye-Relaxer, die laugenbasiert sind und Afrohaare am wirksamsten glätten."

Außerdem gibt es temporäre oder semipermanente Haarglättungsmittel, die nur vorübergehend halten. Diese werden auch Brazilian Treatment oder Keratin Treatment genannt. Wie solche chemischen Haarglättungsmittel angewendet werden, hat uns Journalistin und Autorin Ciani-Sophia Hoeder beschrieben. Sie hat selbst lange ihre Afrohaare damit geglättet.

"Ich habe im Alter von elf Jahren das erste Mal den Relaxer benutzt. Das brennt extrem doll, aber je länger eine Person durchhält, desto glatter werden die Haare."
Ciani-Sophia Hoeder, Journalistin

"Am Ende wäscht man das aus, und die Haare sind spröde, oft brechen sie – und es ist einfach ein sehr, sehr schlimmer Prozess", sagt Ciani-Sophia Hoeder. Sie hat das über 15 Jahre lang gemacht – einmal im Monat, ohne es groß infrage zu stellen. Aufgehört hat Ciani-Sophia Hoeder damit erst, als ihr durch die Natural-Hair-Bewegung klar wurde, dass sie eigentlich gar nicht weiß, wie ihre Afrohaare natürlich aussehen.

Glättungsmittel können Haare kaputt machen

Die promovierte Biochemikerin Ruta Almedom hat früher in der Kosmetikindustrie gearbeitet und ist jetzt wissenschaftliche Leiterin bei der App Codecheck, die Infos zu Inhaltsstoffen von Kosmetikprodukten und Lebensmitteln anzeigt. Almedom sagt: Unsere Haare bestehen zu 90 Prozent aus Proteinen und Bindungen zwischen diesen Proteinen. Dabei hat lockiges Haar und Afrohaar besonders starke Bindungen, sogenannte Disulfidbrücken, die auch dafür verantwortlich sind, dass sich die Haare winden und kräuseln.

Lockenstruktur kann komplett verschwinden

Und diese starken Bindungen werden dann durch die chemischen Substanzen in Haarglättungsmitteln aufgebrochen, wie zum Beispiel Natriumhydroxid und Kalziumhydroxid. Dadurch wird die Lockenstruktur verändert oder verschwindet ganz und das Haar wird glatter. Zum Teil ist das auch irreversibel, also kann nicht wiederhergestellt werden. "Eigentlich zerstört es die natürliche Haarstruktur komplett und hinterlässt das Haar sehr vulnerabel gegenüber äußeren Einflüssen", sagt Ruta Almedom.

"Je häufiger man diese Anwendungen aufträgt auf das Haar, desto schwächer wird es. Und teilweise kann das Haar bei den geringsten Pflegeroutinen schon brechen und ausfallen.“
Ruta Almedom, Biochemikerin

Denn das Haar wird durch die chemische Glättungsprozedur einfach sehr schwach. Auch die Kopfhaut kann leiden. Wobei die Empfindlichkeit individuell unterschiedlich ist. Aber laut Ruta Almedom bekommen viele Menschen, die zum Beispiel laugenbasierte Relaxer benutzen, gesundheitliche Probleme: Das können Rötungen und Juckreiz auf der Haut sein oder Allergien auf bestimmte Inhaltsstoffe. Einige Produkte enthalten auch hormonell aktive Substanzen, die also im Körper wie Hormone wirken. Und dabei dürfen die Haarglättungsmittel laut Gebrauchsanweisungen eigentlich gar nicht mit der Haut in Berührung kommen.

Achtung: Vorsichtsmaßnahmen beim Auftragen

Laut Anleitung soll zuerst eine Fettcreme in die Kopfhaut massiert und dann erst das Haarglättungsmittel aufgetragen werden. Würde das im Labor stattfinden, sagt Ruta Almedom, würde sie bei diesen aggressiven Chemikalien Vorsichtsmaßnahmen treffen: Handschuhe tragen, Schutzbrille, Gesichtsmaske. Aber bei der Anwendung zu Hause kommt das Mittel leicht mal in Kontakt mit der Haut oder auch mit den Augen.

Viele wissen nicht, wie schädlich die Mittel sind

Trotz der vielen Nebenwirkungen werden Haarglättungsmittel häufig genutzt. Ruta Almedom glaubt, dass es zum einen daran liegt, dass viele Menschen gar nicht wirklich wissen, welche möglichen gesundheitlichen Folgen solche Mittel haben. Und dazu kommt: Wer seine Afrohaare chemisch glättet, der oder die macht das ja in der Regel, um bestimmten Idealen zu entsprechen. Da spielen viele Aspekte rein, sagt die Journalistin Ciani-Sophia Hoeder, wie etwa die Kolonialisierung und weiße Schönheitsideale – besonders bezogen auf Frauen mit Afrohaaren. "Die Werbungen sind durchsetzt mit entweder weißen Menschen oder mit schwarzen Menschen, die glatte Haare haben."

"Es war auch immer wieder ein Bild, das ich gesehen hatte als Kind: Wenn ich erfolgreich sein will in dieser Welt, muss ich glatte Haare haben. Beyoncé hat glatte Haare, Michelle Obama hat glatte Haare. Alle haben glatte Haare, die in Machtpositionen zu sehen sind.“
Ciani-Sophia Hoeder, Journalistin

Diesen Druck, diese Assoziation zwischen Erfolg, Macht und glatten Haaren, das fühlen schwarze Menschen laut Ciani-Sophia Hoeder zum Teil auch heute noch.

Shownotes
Haare glätten
So schädlich kann die Chemie auf dem Kopf sein
vom 04. März 2024
Moderatorin: 
Anke van de Weyer
Gesprächspartnerin: 
Wiebke Lehnhoff, Deutschlandfunk-Nova-Reporterin