• Deutschlandfunk App
  • Spotify
  • Apple Podcasts
  • Abonnieren

Wut, Streit, hitzige Diskussion – fast immer reagiert Piya mit Tränen. Lange Zeit hat sie das selbst sehr gestört. Viele bewerten Tränen als Reaktion danach, wie adäquat sie sind, sagt ein Psychologe. Außerdem sollten wir nicht das Problem bei der weinenden Person suchen.

Weinen ist etwas sehr Archaisches. Wir tun es instinktiv vom Moment der Geburt an. Es kehrt unsere Gefühlswelt nach außen und lässt uns möglicherweise verletzlich wirken. Viele von uns versuchen zu kontrollieren, wann und wo sie weinen. Wer in der Öffentlichkeit weint, hat oft auch das Gefühl, sich eine Blöße zu geben.

"Wenn ich weine, werde ich immer wütender: Irgendwie auf mich und auf die andere Person. Und dass ich eben so meine Emotionen ausdrücke und daran nichts ändern kann."
Piya, Sängerin

Bei Piya ist das etwas anders – sie kann oft nicht kontrollieren, bei welchen Gelegenheiten sie weint. Sie bricht relativ schnell in Tränen aus, auch wenn ihre Gefühlslage eigentlich eine andere ist.

Wer weint, weil er traurig oder bedrückt ist, erhält meist mehr Verständnis als Piya. Sie weint auch spontan und impulsiv, wenn sie zum Beispiel eine politische Diskussion führt. Lange Zeit hat sie damit gehadert.

"Es begleitet mich, seit ich klein bin. Alle meine Emotionen kommen durch Weinen raus."
Piya, Sängerin

Denn als eher zierliche Frau im Musikbusiness hat sie es dann meist noch schwerer, ernstgenommen zu werden, wenn ihr unerwartet die Tränen aus den Augen schießen. Über die Jahre hat sie sich mit dieser Seite von sich etwas versöhnt, – auch weil sie sich viel damit beschäftigt hat, wieso sie so nah am Wasser gebaut ist.

"Ich wäre einfach gerne in vielen Situationen, in denen ich weine, eine starke feministische, wütende, laute Frau, die ich halt in dem Moment nicht sein kann."
Piya, Sängerin

Und auch beruflich hat sich die Sängerin mit ihrem Tränenreichtum auseinandergesetzt und einen Song über das Weinen geschrieben.

Wie Weinen wahrgenommen wird

Für den Umgang mit anderen Menschen ist es wichtig, dass wir Emotionen zeigen, sagt Janis Zickfeld von der Aarhus University in Dänemark. Aber oft spielt es in der Bewertung dieser Gefühle durch andere eine Rolle, ob sie als angemessen wahrgenommen werden.

Denn Weinen wir häufig als Kontrollverlust verstanden und dann eher als negativ gewertet. In interessantes Konzept sei in diesem Zusammenhang der Passionate Restraint, also die emotionale Zurückhaltung, sagt der Sozialwissenschaftler und Psychologe.

Sie ermöglicht uns beides: sowohl emotional kompetent zu wirken, als auch den Eindruck zu vermitteln, dass wir die Kontrolle behalten. Bei diesem Ansatz geht es darum, unsere Gefühle auszudrücken, aber in einem kontrollierten Maß nach außen zu lassen.

"Je exzessiver und intensiver Weinen wahrgenommen wird, desto besser muss es auch zur Situation passen."
Janis Zickfeld, Assistant Professor Social Sciences und Psychology, Aarhus University

Fabienne Gutjahr ist Therapeut*in und wissenschaftliche Mitarbeiter*in an der Uni Kassel. Fabienne sagt, dass es verschiedene Faktoren gibt, weshalb manche Menschen eher zum Weinen neigen als andere. Das können Unterschiede in der Persönlichkeit sein, aber möglicherweise auch biologische Veranlagungen. Häufiger weinen Menschen, die:

  • hohe Neurotizismus-Werte haben, das heißt ängstlich, nervös oder leicht zu irritieren sein können
  • sehr empathisch sind
  • offen für neue Erfahrungen sind
  • möglicherweise hormonell stärker dafür veranlagt sind
  • bestimmte soziale Erfahrungen gemacht haben, dass eine Bezugsperson zum Beispiel vermittelt, dass Weinen erwünscht ist oder in irgendeiner Form positiv bestärkt.
"In unserer Leistungsgesellschaft gibt das Ideal nicht zu emotional zu sein. Ich glaube, das hat auch viel mit patriarchalen Strukturen zu tun. Es gibt ein Ideal von Selbstkontrolle, Professionalität, Souveränität."
Fabienne Gutjahr, Doktorand*in und wissenschaftliche Mitarbeiter*in, Uni Kassel

Fabienne Gutjahr plädiert dafür, das Problem nicht bei den Personen zu suchen, die zu häufigem Weinen neigt. Sie sagt, dass wir als Gesellschaft auch daran arbeiten könnten, Weinen in bestimmten Kontexten zu normalisieren. Vor allem im Arbeitskontext wird Weinen als unprofessionell gewertet, dabei verbringen wir einen Großteil unseres Lebens dort, sagt Fabienne Gutjahr.

Wer allerdings das Gefühl hat, dass ihr oder ihm die häufigen Tränenausbrüche im Weg stehen, kann kleinere Übungen aus der Emotionsregulation ausprobieren, sagt Fabienne Gutjahr. Beispielsweise richtet man dann den eigenen Fokus auf die Atmung. Das kann es erleichtern, die Tränen zurückzuhalten. Gleichzeitig reguliert diese Übung auch das eigene Nervensystem, vor allem dann, wenn man länger ein- als ausatmet, sagt die Psycholog*in.

"Trotzdem verstehe ich natürlich, wenn jemand wirklich das Gefühl hat, das steht mir richtig im Weg. Und das passiert ständig und ich möchte eigentlich was mit fester Stimme sagen."
Fabienne Gutjahr, Doktorand*in und wissenschaftliche Mitarbeiter*in, Uni Kassel

Meldet euch!

Ihr könnt das Team von Facts & Feelings über Whatsapp erreichen.

Uns interessiert: Was beschäftigt euch? Habt ihr ein Thema, über das wir unbedingt in der Sendung und im Podcast sprechen sollen?

Schickt uns eine Sprachnachricht oder schreibt uns per 0160-91360852 oder an factsundfeelings@deutschlandradio.de.

Wichtig:
Wenn ihr diese Nummer speichert und uns eine Nachricht schickt, akzeptiert ihr unsere Regeln zum Datenschutz und bei Whatsapp die Datenschutzrichtlinien von Whatsapp.

Shownotes
Heul doch
Wieso bin ich so nah am Wasser gebaut?
vom 13. Juni 2025
Gesprächspartnerin: 
Piya, Sängerin, hat sich intensiv mit Weinen und ihren Tränen beschäftigt
Gesprächspartnerin: 
Fabienne Gutjahr, Psycholog*in, wissenschaftliche Mitarbeiter*in an der Universität Kassel, Therapeut*in in Ausbildung
Gesprächspartner: 
Janis Zickfeld, Assistant Professor für Sozialwissenschaften und Psychologie, Aarhus University, Dänemark
Autorin und Host: 
Shalin Rogall
Redaktion: 
Yevgeniya Shcherbakova, Anna Küsters, Friederike Seeger
Produktion: 
Susanne Beyer