Am Raub jüdischen Eigentums in Europa während des Holocausts war nicht nur der NS-Staat beteiligt, sondern auch die nicht-jüdische Bevölkerung vor Ort. Zwei Vorträge der Historikerin Agnieszka W. Wierzcholska und des Historikers Markus Roth.
Während des Nationalsozialismus wurden Juden in Europa ermordet und ihr Besitz wurde geraubt – ihre Häuser, ihr Privateigentum. Das geschah in Deutschland, aber auch in besetzten Ländern wie Polen. Oft waren nicht nur SS-Offiziere daran beteiligt, sondern auch die nicht-jüdische Bevölkerung vor Ort.
"Der Holocaust war auch ein Raubzug, von dem viele profitierten: der deutsche Staat, deutsche Besatzungsfunktionäre, SS-Männer und Polizisten, Privatleute, die einheimischen Bevölkerungen."
Die Historikerin Agnieszka Wierzcholska hat untersucht, wer 1942 in der polnischen Stadt Tarnów an den Plünderungen beteiligt war. Anhand von Quellen aus lokalen Archiven rekonstruiert sie, wie nicht-jüdische Menschen Möbel, Geschirr und Kleidung ihrer verschleppten oder ermordeten jüdischen Nachbarn stahlen.
"Einige Polen, die ja selbst Opfer der Besatzung waren, profitierten materiell von der Vernichtung der Juden. Sie übernahmen deren Wohnungen, Läden, Betriebe, Werkzeuge, Kleidung."
Auch nicht-jüdische Polen waren Opfer der nationalsozialistischen Besatzer, betont Agnieszka Wierzcholska in ihrem Vortrag, und nicht alle beteiligten sich an dem Raub jüdischen Eigentums. Doch zugleich bestanden auch in Polen antisemitische Vorurteile aus Zeiten vor dem Krieg weiter.
Restitution jüdischen Besitzes in Polen
Was geschah in Polen mit dem gestohlenen jüdischen Eigentum nach Ende des Krieges? Um diese Frage geht es im Vortrag des Historikers Markus Roth.
Nach dem Ende der Volksrepublik Polen 1989/90 wurde dieses Thema wieder diskutiert: Liegt alle Verantwortung bei Deutschland, das Polen besetzt hatte? Inwieweit sollte oder muss auch der polnische Staat Verantwortung übernehmen?
Agnieszka W. Wierzcholska ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Ihr Vortrag hat den Titel "Wie Nachbarn stahlen. Eine mikrohistorische Studie zur Plünderung jüdischen Eigentums durch die Einheimischen im besetzten Polen".
Markus Roth ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fritz-Bauer-Institut der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Sein Vortrag hat den Titel "Schwieriges Erbe – Raub und Restitution in der polnischen Debatte seit 1989/90".
Beide haben ihre Vorträge am 20. September 2023 auf dem 54. Historikertag in Leipzig gehalten im Rahmen der Sektion "Raub und Holocaust in Europa. Akteure, Motive und Nachgeschichte".
Oben auf der Seite ist ein Symbolbild für den Raub jüdischen Eigentums zu sehen: Ausstellungsstücke aus der Ausstellung: Legalisierter Raub – Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933- 1945. Im Bild: Fragwürdiger Altbesitz, Silber-Stücke.
- Historikerin Agnieszka W. Wierzcholska
- Historiker Markus Roth