Luisa ist angehende Lehrerin und mitten im Referendariat. Sie sagt, dass sie gerade die stressigste Zeit ihres Lebens durchmacht. Eine Expertin erklärt, wann Stress krank macht und wie wir es schaffen, unsere Akkus gesund aufzuladen.
Luisa ist 27 und angehende Gymnasiallehrerin für die Fächer Deutsch und Englisch. Im Mai 2024 hat sie ihr Referendariat angefangen. Luisa hatte auch im Studium sehr stressige Zeiten, weil sie immer schon nebenbei gearbeitet hat. Aber so viel Stress wie jetzt in der Vorbereitung auf den Lehrerjob hatte sie noch nie: "Dieses ganze Unterricht vorbereiten, Klassenarbeiten korrigieren – ganz besonders. Und dann eben auch die Unterrichtsbesuche vorzubereiten. Dann kommt immer mal jemand vom Seminar, um mich zu prüfen und um mir auch eine Note zu geben. Das habe ich sehr unterschätzt."
Wenn der Stress einen überrollt
"Als Referendariatshölle haben es immer alle bezeichnet. Da wusste ich schon, da wird viel auf mich zukommen. Aber dieses Ausmaß hätte ich mir nicht vorstellen können."
Wenn Luisa von der Schule nach Hause kommt und mal ein private Verabredung am Nachmittag einplant, dann weiß sie: Die Stunden muss sie abends fürs Nacharbeiten dranhängen. Im Prinzip ist jeden Tag was zu tun: "Viele sagen immer: Lass die Arbeit mal liegen. Aber das geht nicht. Weil, wenn ich die Arbeit liegen lasse, dann stehe ich morgen vor 30 Kindern und die sagen: Was machen wir heute? Und ich sag dann: Ja, ich weiß es nicht."
Extreme Stressphasen fühlen sich an wie Marathonlauf
Luisa versucht zwar, Pausen bewusst einzuplanen und zum Beispiel einen Tag am Wochenende mal gar nichts für den Job zu machen – aber vor allem um diese extremen Stressphasen überhaupt zu packen. Wenn Luisa mal wieder vor einem Berg Arbeit sitzt, sieht sie ihre Freunde auch so gut wie gar nicht. "Diese extremen Stressphasen habe ich auch maximal zwei Tage. Weil ich das länger auch gar nicht aushalten würde. Es ist, als ob man gerade einen Marathon gerannt ist.", erzählt Luisa.
"Ich wache morgens auf und weiß schon: Ich habe richtig viel tun. Und ich weiß auch: Eigentlich kann man das gar nicht wirklich schaffen."
Luisa sagt, dass sie in diesen Stressphasen eine große innere Unruhe verspürt und sich selbst aber auch immer wieder versucht, runterzuholen: "Dann muss ich schon öfter mal kurz sitzen und denken: 'Ok, jetzt mal ganz langsam atmen. Ich operiere hier nicht am offenen Herzen. Es ist nicht so schlimm, wenn ich es nicht schaffe.'"
Was ist Stress?
Die Gesundheitspsychologin Claudia Traunmüller lehrt und forscht zu Stress. Sie sagt, dass der Mensch von Natur aus in der Lage ist, mit Stress klarzukommen.
"Rein evolutionsbiologisch können wir mit Stress umgehen. Das ist grundsätzlich kein Problem."
Eine besondere Herausforderung ist es aber, wenn wir zu viel Stress bewältigen müssen. Claudia Traunmüller vergleicht diese Situation mit einem Auto: "Wenn ich in einem Auto sitze und mit 5.000 oder 6.000 Umdrehungen fahre, wird mein ganzer Motor leiden. Das macht keiner, weil die Reparaturen so teuer sind. Deswegen fährt man in einem gemütlichen, ökonomischen Bereich."
Körper kommt bei zu viel Stress aus dem Gleichgewicht
Ähnlich verhält es sich mit dem Körper, so die Gesundheitspsychologin: "Wenn ich in eine Stresssituation komme, fährt der Körper an und erhöht relativ viele Funktionen: meine Atmung wird schneller, meine Herzfrequenz wird schneller. Stehe ich zu lange auf dem Gas, werden diese Systeme einfach überlastet.
"Je schneller und je besser ich mich erholen kann, umso stressbelastbarer bin ich auch und habe keine gesundheitlichen Schäden zu erwarten – weder auf der psychischen noch auf der körperlichen Ebene."
Die Folge ist: Der Körper kommt aus dem Gleichgewicht – und hat zu viel Energie an den falschen Stellen übrig, etwa beim Schlafen, so Claudia Traunmüller. Der Gesundheitspsychologin zufolge kann der Körper dann nicht mehr runterfahren, was zu gesundheitlichen Problemen führen kann. Deshalb sei es wichtig, Zeit für Regeneration in den Alltag einzubauen.
Die Kampf-oder-Flucht-Reaktion
Wenn der Körper gefährliche Reize – dazu gehört auch Stress – wahrnimmt, dann zeigt er in der Regel diese natürlichen Reaktionen:
- Fight (Kampf)
- Flight (Flucht)
- Freeze (Erstarren)
Diese Reaktionen haben sich im Laufe der Evolution bei allen Säugetieren und den menschlichen Vorfahren als hilfreich erwiesen. Der Psychologe René Träder erklärt das so: "Diese Mechanismen kennen wir heute noch, auch wenn wir nicht mehr vor einem Tiger wegrennen. Wir rennen dann vor einem Konflikt weg oder vor den vielen E-Mails in unserem Postfach. Und wir haben da ganz ähnliche Strategien."
Einige reagieren etwa mit Prokrastination, so der Psychologe: "Mir selber einreden: Ich bin gerade ganz produktiv, weil die Fenster heute unbedingt gemacht werden müssen, bevor ich für die Klausur lerne oder die Steuererklärung mache." Die Reaktion "Freeze" wäre heutzutage etwa damit gleichzusetzen, dass Menschen Dinge verdrängen oder ignorieren.
Weniger hetzen im Alltag
"Fight" vergleicht René Träder damit, dass Leute erst gegen einen Berg von E-Mails ankämpfen, bevor sie Feierabend machen. Das kann im Alltag funktionieren und auch zum Erfolg führen, allerdings leiden Körper und Psyche darunter, so der Psychologe. Er rät allen dazu, sich im Alltag weniger zu hetzen: "Wir müssen rauskommen aus dieser Logik, dass wir uns selber stressen."
"Wenn wir an den Punkt kommen, dass es schon viel zu viel für uns ist und wir auf uns nicht mehr achten können, dann haben wir schon eine rote Linie überschritten."
Stress mit bestimmten Dingen zu kompensieren ist aus Sicht des Psychologen nicht zielführend: "Indem wir einen Liter Red Bull trinken, dann haben wir wieder Energie. Indem wir drei Stunden weniger schlafen, dann können wir mehr leisten." Eine Zeit lange kann das gut gehen, ab einem gewissen Punkt nicht mehr, sagt René Träder.
Was hilft gegen Stress?
Betroffene sollten sich fragen: Welche Ressourcen habe ich überhaupt und was kann ich dem Stress entgegenstellen? "Denn wir müssen uns immer vorstellen: Stress entsteht nur dann, wenn unser inneres System findet, dass unsere Ressourcen nicht ausreichen, um mit dem Stressor umzugehen." Dabei können Ressourcen ganz unterschiedliche Dinge sein:
- Zeit
- Geld
- Soziale Unterstützung
- Emotionaler Haushalt
Jede und jeder sollte herausfinden, wie der Stress am besten zu bewältigen ist oder ob er überhaupt bewältigt werden muss.
Durch Insta und Co. scrollen erschöpft
Um Stress zu reduzieren, hilft es, eine Form von Entspannung hinzubekommen, sagt der Psychologe. Sich mit dem Handy abzulenken und durch Insta und Co. zu scrollen sei beispielsweise keine Entspannung: "Was wir da tun ist: Wir lenken uns vom Alltag ab, aber mein Gehirn hat gar keine Pause und ist irgendwann völlig erledigt. Das merken wir später, wenn es schwer fällt, eine Entscheidung zu treffen und man mental erschöpft ist."
Der Psychologe rät stattdessen, andere Sinne anzuregen als den Kopf: "Also riechen, schmecken, hören fühlen. In die Natur gehen, töpfern, puzzeln, tanzen, was auch immer. Und mal nicht nachdenken."
"Wir sollten ein bisschen mit uns umgehen wie mit unserem Handy: 'Ich habe nur noch fünf Prozent Akku, bis Freitag musst du aber durchhalten. Das würden wir immer aufladen und gucken, wo ist die nächste Steckdose.'"
Wichtig ist: Achtsam mit sich umgehen. Wer unter viel Stress leidet, sollte immer auf den eigenen Akku schauen und sich überlegen: Kann ich noch zu irgendetwas "Ja" sagen oder tut es dem Körper nicht mehr gut, so René Träder. Er rät auch dazu, die eigenen Glaubenssätze zu hinterfragen: "Erzähle ich mir selber die Geschichte, dass ich keine Zeit habe etwas zu machen. Wir verwechseln Leistung auch häufig mit Liebe und versuchen dann ganz viel zu kompensieren, ganz viel zu machen."
In einem Leben wo Stress zum Lifestyle geworden ist, sei es wichtig, den Lifestyle unter die Lupe zu nehmen und zu gucken: Worauf kann ich verzichten und wie kann ich für mich sorgen, sagt der Psychologe.
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