Viele Paare lernen sich auf der Arbeit kennen. Schwierig, wenn der Arbeitsort das Gefängnis ist und einer der beiden Verliebten ein Häftling. Nach einer neuen Studie sind es vor allem weibliche Angestellte, die sich zu männlichen Straftätern hingezogen fühlen.
Der kanadische Kriminologe Philippe Bensimon hat sich die Liebesbeziehungen zwischen Häftlingen und Gefängnispersonal genauer angeschaut. Also Beziehungen von weiblichen und männlichen Wärtern, Sozialarbeitern, Krankenpflegern, Lehrern und Psychologen mit inhaftierten Männern und Frauen. Hybristophilie heißt dieses bisher wenig erforschte Phänomen, wenn Menschen sich zu Verbrechern - Mördern, Räubern, Sexualstraftätern - hingezogen fühlen.
Für die Studie hat der Kriminologe aus Montreal vor allem Daten aus den USA ausgewertet. Er kommt zu dem Schluss, dass es auf Seiten der Vollzugsanstalt eher Frauen trifft: Sie machen rund 70 Prozent aller Fälle aus. Und das, obwohl in US-Gefängnissen hauptsächlich Männer arbeiten.
Helfersyndrom und enge Räume
Die USA sind eines der wenigen Länder, in denen diese Fälle überhaupt erfasst werden. Das liegt daran, dass "sexuelles Fehlverhalten" (sexual misconduct) gegenüber Häftlingen dort ziemlich hart bestraft wird. Über eine Million solcher Fälle seien in den letzten 20 Jahren vor US-Gerichten verhandelt worden. Selbst wenn dies nicht alle als romantische Beziehungen durchgehen, sei die Zahl doch ein Indiz für die weite Verbreitung des Phänomens, so Bensimon. Der Wissenschaftler spürte zudem über 300 medial dokumentierte Romanzen zwischen Gefängnis-Mitarbeitern und Insassen auf.
Bensimon sagt, der Gefängnisalltag lädt quasi dazu ein, sich zu verlieben. Allein dadurch, dass man sich täglich sehe und oft intensiv miteinander arbeite. Gerade die therapeutische und pädagogische Arbeit sei dafür anfällig. Viele Häftlinge idealisieren zudem die Frauen, die mit ihnen arbeiten. Denn die weiblichen Angestellten der Vollzugsanstalt sind oft die einzigen Frauen im Umfeld der Insassen. In der Regel jedoch enden diese Beziehungen tragisch: die Häftlinge werden verlegt, die Mitarbeiterinnen verlieren ihre Jobs, landen vor Gericht. Ihre Familien zeigen Unverständnis.
Verehrung für extreme Täter
Warum sich jedoch Frauen in Verbrecher verlieben, darauf gibt es keine klaren Antworten. Einige Psychologen erklären es mit einer Art "Helfersyndrom" der Frauen. Sie glauben, ihre Liebe würde den Häftlingen wieder den richtigen Weg weisen. Selbst extreme Täter wie Anders Breivik oder Charles Manson haben weibliche Fans, bekommen reihenweise Liebesbriefe und Heiratsanträge aus aller Welt. Für Aufsehen sorgte auch der Mugshot von Jeremy Meeks: der vorbestrafte Räuber war wegen unerlaubten Waffenbesitzes verhaftet worden. Er hatte danach nicht nur einen Haufen weibliche Fans, sondern einen Modelvertrag.
Mehr dazu im Netz:
- Die befreiende Macht der Liebe | Wenn die Gefängniswärterin mit dem Häftling flieht
- Knastliebe: Die Auserwählten | Drei Frauen im Porträt
- Der Reiz des Bösen | Der Spiegel über Hybristophilie