Ob Rassismus oder Sexismus: Iuma hat kein Problem damit, Menschen zu widersprechen, die etwas sagen, was sie anders sieht. Aber wie wichtig ist es, die eigene Meinung zu vertreten, statt zu schweigen? Und wie trauen wir uns, Haltung zu zeigen?
Iuma ist 28, Musikerin und heißt eigentlich Julia. Sie spricht offen an, wenn Aussagen anderer Menschen ihr nicht passen, und ist schon öfter in solche Situationen gekommen – auch innerhalb ihrer Familie.
Iuma erinnert sich zum Beispiel an eine rassistische Nachricht von ihrem Onkel im Familiengruppenchat: "Das hat ganz viel in mir ausgelöst. Ich habe ein bisschen abgewartet und irgendwie hat niemand etwas gesagt. Und dann war ich so: 'Okay, da muss ich jetzt was machen."
Meinung äußern und Emotionen kontrollieren
Iuma hat mit einer Nachricht reagiert. Heute sagt sie allerdings, dass sie das nicht noch mal in der Form machen würde. Sie sagt, dass sie aus der Wut heraus reagiert hat und einen sehr aggressiven Text in die Familiengruppe geschickt hat. "Daraufhin hat mein Onkel den Text gelöscht und mich angerufen. Und das war voll gut, weil wir dann darüber geredet haben. Und ich habe auch das Gefühl, seither haben sich Dinge in dieser Familiengruppe verändert."
"Ich habe einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn – und der springt dann an."
Dinge ansprechen statt zu schweigen – das tut Iuma nicht nur im familiären Umfeld. Inzwischen hat sie auch eine Strategie, wie sie anderen gegenüber ihre Meinung vertritt. Denn Iuma sagt selbst, dass sie früher oft aus Prinzip widersprochen hat: "Ich habe mittlerweile die Strategie – wenn mein Gerechtigkeitssinn anspringt – dass ich meine Emotionen erst mal ein bisschen sortiere. Ich überlege, wie kriege ich die Situation jetzt so hin, dass ich zwar was sagen kann, aber dass die Person sich nicht komplett angegriffen fühlt."
Schweigen = Zustimmung
Sich zu trauen, die eigene Meinung zu vertreten, ist mit Blick auf die Gesellschaft und prägende Themen wie Rassismus oder Sexismus sehr wichtig, findet der Soziologe Lorenz Blumenthaler. Denn Schweigen kann als Zustimmung gewertet werden und zur Folgen haben, dass menschenfeindliche Einstellungen normaler und sagbarer werden, so der Soziologe. Und diese Tendenz gebe es auch inzwischen in Deutschland.
"In den letzten fünf Jahren ist in Deutschland eine deutliche Schieflage entstanden, weil nicht immer widersprochen wird – auch wenn viele Leute andere Einstellungen zu rassistischen oder frauenfeindlichen Aussagen haben."
Lorenz Blumenthaler hat auch eine Entscheidungshilfe für alle, die sich zwischendurch fragen: Wann widerspreche ich und wann lasse ich es sein? Man sollte sich überlegen, ob eine Aussage so grenzüberschreitend ist, dass eine Person sich dadurch verletzt fühlt. "Sich ganz klar diese Frage zu stellen: Wenn ich jetzt von Rassismus betroffen bin, was würde diese Aussage mit mir machen? Was würde es in mir auslösen? Und dann dahingehend seine eigenen Grenzen noch mal abzutasten und festzulegen."
Einzelpersonen können auch etwas bewirken
Für den Soziologen ist es prinzipiell wichtig, zu widersprechen, weil wir als Einzelperson mehr bewirken können, als wir denken. Denn wenn jeder Mensch in Deutschland, der sich als demokratisch versteht, bei grenzüberschreitenden Aussagen Widerspruch leisten würde, hätten wir eine große Mehrheit – auch, wenn wir nicht jedes Mal unser Gegenüber überzeugen können.
"Wir widersprechen nicht unbedingt, um unser Gegenüber zu überzeugen. Wir leisten Widerspruch für die im Grunde doch noch stark vorhandene schweigende Mehrheit."
Wie wir es schaffen, Haltung zu zeigen
Wer sich nicht traut, seine Meinung zu sagen, kann auch einen Trick anwenden. Mayan gibt Trainings beim Netzwerk für Demokratie und Courage und sagt, man muss nicht immer sofort Gegenargumente haben. Oft hilft es auch schon, einfach nochmal einzuhaken und eine Aussage zu hinterfragen. "Und so eine einfache Nachfrage wie: 'Was meinst du jetzt eigentlich damit?' zeigt schon ganz gut, dass jetzt doch nicht so ein Konsens im Raum darüber besteht, dass diese Aussage wirklich gültig ist."
Außerdem bietet so eine Nachfrage die Möglichkeit, dass jemand anderes noch einhakt. Und man gewinnt Zeit, um sich Argumente zu überlegen.
Rassistische Witze am Familientisch
Ein Beispiel: Der Onkel reißt rassistische Witze beim Familienessen. Mayan schlägt vor, dann etwa so zu reagieren: "Mich verletzt es, dass wir auf so einem Niveau über andere Menschen sprechen. Oder: Ich würde mir wünschen, dass wir solche Witze nicht am Familientisch brauchen." In den Trainings geht es vor allem darum, zu lernen, Haltung zu zeigen, erklärt Mayan.
"Wir machen die Trainings um zu zeigen: sich für Menschenwürde und für ein Miteinander einzusetzen, ist Demokratie und Antifaschismus. Das sind wichtige Werte, mit denen wir hier leben."
Und auch, wenn man sein Gegenüber am Ende nicht überzeugen konnte, sollte man stolz darauf sein, überhaupt etwas gesagt zu haben, findet Mayan. "Vielleicht konnte ich das Gegenüber verunsichern oder ein bisschen ruhiger stellen. Muss ich unbedingt überzeugen?" Das Wichtigste sei, dass die Aussage nicht unkommentiert im Raum stehen bleibt, sagt Mayan. "Da fühlen sich diejenigen nämlich sonst alleine, die von der Aussage ganz konkret betroffen sind. Und diejenigen, die solche Aussagen tätigen, die können einfach immer so weitermachen."
Hinweis: Auf dem Bild oben ist nicht Iuma zu sehen.
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