Am 12. Dezember wählen die Briten ein neues Unterhaus. Kurz vor der Wahl hat Großbritanniens orthodoxer Oberrabbiner Ephraim Mirvis die Labour-Partei und deren Chef Jeremy Corbyn angegriffen. In einem Beitrag für die Tageszeitung "The Times" erklärte er Corbyn für ungeeignet. Und mehr noch: Die Juden hätten Angst, schrieb er. Was ist dran an den Vorwürfen?

"Ein paar Wochen vor der Wahl ist die große Mehrheit britischer Juden von Angst erfasst", schreibt Oberrabbiner Ephraim Mirvis in der Times. (Unser Bild oben zeigt Mirvis hinter Corbyn am 10.11.2019 in London.) Er sei eine Abrechnung mit Labour, beschreibt Friedbert Meurer, unser Korrespondent in London, den Text des Oberrabbiners.

Harsche Kritik an Labour und Corbyn

Eine Aussage daraus laute etwa, Anhänger der Labour-Führung würden "Jagd" auf Abgeordnete oder Parteimitglieder machen, die sich gegen antijüdischen Rassismus einsetzen. An den Vorwürfen sei leider einiges dran, sagt Friedbert Meurer. In der Tat werde etwa manchen Labour-Abgeordneten, die antijüdischen Rassismus anprangern, Nestbeschmutzung vorgeworfen.

"Von oben nach unten träufelt bei Labour das Gift des Antisemitismus."
Großbritanniens orthodoxer Oberrabbiner Ephraim Mirvis in der Times

Mit seinem Schreiben greift Mirvis Corbyn und dessen Umfeld ganz direkt an – und ruft dazu auf, Labour nicht zu wählen: Jeder Brite möge seine Wahlentscheidung genau abwägen, heißt es am Ende des Briefes.

"Linker Antisemitismus" bei Labour

Dass die Vorwürfe auf einer realistischen Grundlage basieren, würde auch Corbyn selbst so unterschreiben, sagt Meurer – eine parteiinterne Untersuchungskommission hat nämlich Hunderte Fälle aufgedeckt, in denen Juden in sozialen Netzwerken oder Briefen beschimpft, beleidigt und bedroht wurden. Die Fälle würden unter dem Begriff "Linker Antisemitismus" zusammengefasst. Ein Beispiel sei etwa der "rote Ken", Ken Livingstone, der ehemalige Bürgermeister Londons, der vor drei Jahren sagte: "Adolf Hitler hat bis 1932 den Zionismus unterstützt", die Bewegung für einen israelischen Staat.

Adolf Hitler als Zionist – dieses Bild haben viele Briten als so empörend empfunden, dass es zu einer legendären Situation in einem Treppenhaus von Westminster kam, berichtet unser Korrespondent: John Mann, ein Labour-Parteifreund, hat Livingstone damals wütend zur Rede gestellt und ihn "Nazi-Apologet" genannt. In Folge seiner Äußerungen wurde Livingstones Labour-Mitgliedschaft im April 2016 ausgesetzt.

"Corbyn selbst setzt sich für die Palästinenser ein – und das verschwimmt dann manchmal."
Friedbert Meurer, Deutschlandfunk-Nova-Korrespondent in London

Corbyns Einsatz für die Palästinenser nähmen einige Parteianhänger als Freibrief für antisemitische Attacken. Corbyn selbst werde zwar nicht direkt Antisemitismus vorgeworfen, so Meurer. Er habe aber Fehler gemacht: So habe er zum Beispiel einen Facebook-Eintrag weitergeleitet und positiv kommentiert, der ein umstrittenes Graffito zeigt. Auf der Zeichnung stehen sechs Banker mit auffallend langer Hakennase um einen Monopoly-Tisch herum. Unter dem Tisch sind geknechtete nackte Kreaturen zu sehen. Corbyn sagte dazu, er habe nicht aufgepasst, berichtet unser Korrespondent.

Shownotes
Antisemitismus-Vorwurf gegen Labour
Oberrabbiner warnt vor Wahl Jeremy Corbyns
vom 28. November 2019
Moderation: 
Diane Hielscher
Gesprächspartner: 
Friedbert Meurer, Deutschlandfunk-Nova-Korrespondent in London