Das Berliner Landgericht bezeichnet krasseste schriftliche Beschimpfungen als Stilmittel der Polemik. Dem Juristen Udo Vetter fehlt dafür das Verständnis und auch der für die Entscheidung notwendige Sachkern.
Das Berliner Landgericht hatte bereits am 9. September 2019 entschieden, auf Renate Künast gemünzte Facebook-Kommentare wie Drecks Fotze bewegten sich haarscharf an der Grenze des von der Antragstellerin noch Hinnehmbaren. Andere Äußerungen bewerte das Gericht als "mit dem Stilmittel der Polemik geäußerte Kritik". Der Beschluss findet sich hier im Volltext.
Die Bundestagsabgeordnete und ehemalige Verbraucherschutzministerin Renate Künast (Bündnis 90 / Die Grünen) hat das Urteil scharf kritisiert. Auch bei dem Juristen Udo Vetter stößt die Entscheidung auf Unverständnis.
"Bei so einer krassen Beleidigung kann man sich nur ganz schwer auf den Kontext zurückziehen."
Udo Vetter hält es für möglich, dass das Landgericht Berlin in diesem Fall die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu weit ausgedehnt hat und erklärt, dass nicht alles, was einen anderen herabsetzt unbedingt eine strafbare Beleidigung ist. Man müsse immer nach dem Sachkern suchen und prüfen, ob eine Äußerung noch irgendwo einen Bezug zur Sache habe und eben nicht nur der Ehrverletzung diene.
Hass bei Facebook
Genau diesen Bezug fand das Gericht dem Vernehmen nach: Die Forderung, die Klagende als Sondermüll zu entsorgen, habe Sachbezug, heißt es in dem Urteil weiter. Attribute wie "Stück Scheiße", "Schlampe" sowie "Geisteskranke" seien ebenfalls als Auseinandersetzung in der Sache gewertet worden.
Alle insgesamt 22 Facebook-Kommentare entstanden als Reaktion auf einen Post des rechten Netzaktivisten Sven Liebich vom 27. März. Dieser berief sich wiederum auf einen Artikel in der Welt von Mai 2015, in dem es um eine Äußerung Künasts aus dem Mai 1986 im Berliner Abgeordnetenhaus geht.
Mit Aussicht auf Revision
Seinerzeit redete eine grüne Fraktionskollegin zum Thema häusliche Gewalt, als ein CDU-Abgeordneter die Zwischenfrage stellte, wie sie zum Beschluss der nordrhein-westfälischen Grünen stehe, Geschlechtsverkehr mit Kindern zu entkriminalisieren. Laut Welt rief Künast damals dazwischen: Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist.
Künast wollte vor dem Landgericht erreichen, dass Facebook die personenbezogenen Daten der Urheber herausgibt, um zivilrechtliche Schritte einleiten zu können. Dies lehnte das Gericht ab. Udo Vetter nimmt an, dass Renate Künast gute Chancen hat, gegen das Urteil erfolgreich vorzugehen.
"Solche Formalbeleidigungen als 'Stilmittel der Polemik', wie es im Urteil steht, zu bezeichnen, als noch zulässige Kritik, ist für mich schwer nachzuvollziehen."
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