Die Welt ist auf der Suche nach neuen, klimafreundlichen Energiequellen. Als große Hoffnung gilt die kontrollierte Kernfusion. Frühestens ab 2050 sei sie praktisch nutzbar, hieß es bisher. Zu spät also, um die aktuellen Probleme zu lösen. Doch zuletzt gab es eine Art technischen Durchbruch. Dieser könnte das Ganze beschleunigen.

Bei der Kernfusion verschmelzen zwei Wasserstoff-Atomkerne und sehr viel Energie wird frei. Praktischerweise ohne dass dabei Atommüll entsteht.

In den vergangenen Monaten wurde zwei Mal eine solche Fusionsreaktion gezündet, also gestartet. Sie hält nur sehr kurz, wenige Millisekunden bis maximal fünf Sekunden. Trotzdem ist die Zündung äußerst wichtig für den ganzen Prozess der Energiegewinnung. Die Fusionsreaktion liefert nämlich im besten Fall die Wärme für weitere Verschmelzungen.

Vorsichtiger Optimismus

Aktuelle Studien haben jetzt bestätigt, dass nuklearwissenschaftliche Experimente der National Ignition Facility (NIF) am Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) in Kalifornien aus dem Sommer 2021 erfolgversprechend sind.

Anfang 2022 hatte auch das britische Kernfusionlabor Joint European Torus (JET) einen "großen Durchbruch" bei der Kernfusion verkündet.

"Zu welchem Zeitpunkt die Kernfusion relevant viel nutzbare Energie erzeugen kann, lässt sich seriös nach wie vor nicht sagen."
Konstantin Köhler, Deutschlandfunk-Nova-Reporter

Deutschlandfunk-Nova-Reporter Konstantin Köhler stellt aber klar: Zu welchem Zeitpunkt die kontrollierte Kernfusion relevant viel nutzbare Energie erzeugen kann, um der Menschheit zu helfen, lässt sich seriös nach wie vor nicht sagen. Es könnte in den nächsten 15 Jahren klappen, vielleicht aber auch erst in 30 Jahren – oder gar nicht.

Schwebender Prozess im Magnetfeld

Sollte es irgendwann tatsächlich gelingen, die Kernfusion dauerhaft kontrolliert am Laufen zu halten, müssen wir Menschen es hinbekommen, mit Temperaturen von mehr als 100 Millionen Grad umzugehen. Jedes bisher bekannte Material der Welt würde sofort verdampfen.

Deswegen muss die Kernfusion in einem Magnetfeld stattfinden. Der gesamte Prozess muss sozusagen schwebend stattfinden. Den Forschenden gelingt das inzwischen im Labor. Von der praktischen Umsetzung, bei der dann wirklich nutzbare Energie erzeugt werden könnte, ist man aber eben noch weit entfernt.

Trotzdem ist eine berechtigte Hoffnung vorhanden, auf diesem Gebiet weiterzukommen. Deshalb werden weltweit viele Milliarden Euro in die Forschung investiert. Außerdem haben sich inzwischen mehrere Unternehmen gegründet, die die kontrollierte Kernfusion umsetzen und in der Breite nutzbar machen wollen – einige bereits seit zehn Jahren.

Start-ups wollen Kernfusion nutzbar machen

Eines dieser Start-ups kommt aus Deutschland: Das Unternehmen Focused Energy aus Darmstadt zum Beispiel hat mehr als 50 Mitarbeiter, Wissenschaftler*innen aus der ganzen Welt.

Expert*innen des renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben in Cambridge an der Ostküste der USA das Unternehmen Commonwealth Fusion Systems gegründet. Das Start-up hat schon über 1,7 Milliarden Euro Investmentkapital eingesammelt, unter anderem von Bill Gates und Google. Sogar Rentenfonds haben schon in Commonwealth Fusion Systems investiert – in der Hoffnung auf Rendite.

Dass Investoren Geld in junge Unternehmen pumpen, ist zwar normal. Doch die Unsicherheit, die Kernfusion kommerziell nutzen zu können, ist groß. Als Milliardär ein paar dutzend Millionen Euro zu riskieren, ist wohl zu verkraften. Dass Rentenfonds investieren, die die eingezahlten Gelder irgendwann garantiert wieder ausbezahlen müssen, ist dagegen schon eher ungewöhnlich, findet Konstantin. Andererseits: Wenn es mit der Kernfusion klappt, dann warten wahrscheinlich traumhafte Renditen.

Blick in die Zukunft: Drei denkbare Szenarien

  1. Die kontrollierte Kernfusion klappt zu 100 Prozent. In diesem Fall hätten wir CO2-neutrale Energie im Überangebot. Jegliche Energie-Sparmaßnahmen könn(t)en wir einstellen.
  2. Die Kernfusion klappt nicht. Dafür kriegen wir das mit den erneuerbaren Energien Wind und Sonne ganz gut hin. Der CO2-Ausstoß würde deutlich reduziert und unsere Welt (zumindest vorerst) einigermaßen gerettet.
  3. Die Kernfusion klappt nicht und auch der weltweite massive Ausbau der erneuerbaren Energien reicht nicht aus. Dieses düstere Szenario hätte einen ökologischen und/oder sozialen Kollaps zur Folge.
Shownotes
Klima- und Gaskrise
Kernfusion könnte Energiesorgen lösen
vom 15. August 2022
Moderation: 
Till Haase
Gesprächspartner: 
Konstantin Köhler, Deutschlandfunk-Nova-Reporter