Im Dezember 2018 stürmen Spezialeinheiten in Belgien, den Niederlanden und Deutschland zeitgleich Wohnungen, Geschäfte und Restaurants um illegale Geschäfte aufzudecken. Es ist der bisher größte Schlag gegen die Organisierte Kriminalität in Europa: 84 Personen werden verhaftet. Die Ermittler finden außerdem vier Tonnen Kokain und mehr als zwei Millionen Euro. Nun beginnt der Prozess – und Corona erschwert den Beginn.

Es ist der größte Mafia-Prozess in Deutschland. Doch die Mutter eines Angeklagten ist an Corona erkrankt – der Prozess gerät deswegen direkt zu Beginn ins Stocken. Dabei soll es um große Dinge gehen: Vorwürfe der Geldwäsche, Drogenhandel und Verstöße des Waffenrechts stehen im Raum.

Kronzeuge berichtet Insights der Mafia

Besonders erstaunlich dürfte in diesem Prozess der Kronzeuge sein: Giuseppe M. Er war selbst 20 Jahre lang Kokainbroker in der 'Ndrangheta und hat die Geschäfte abgewickelt. Ein Job, der für die Mafia von besonders wichtiger Bedeutung ist, sagt NDR-Journalist Benedikt Strunz.

"Ein Kokainbroker handelt mit den Kartellen die Verträge über die Auslieferungen und die Qualität des Stoffes aus. Es ist einer der wichtigsten Jobs in der Mafia."
Benedikt Strunz, NDR-Reporter

Giuseppe M. hat sich nicht aus finanzieller Not der Polizei gestellt. Bei einem Geschäft ist etwas schief gelaufen – und das Risiko entdeckt zu werden, ist zu groß geworden, sagt Benedikt Strunz.

Besonders erstaunlich an diesem Zeugen ist, dass er bereitwillig erzählt. Er nennt Namen, Strukturen und Handelstechniken. Für die Ermittler ist es besonders wertvoll, dass er bestimmte Schmuggeltechniken erklärt. So etwa, dass Metallbehältnisse mit Kokain gefüllt, an großen Schiffen angebracht, in den Hafenbecken von Europa abgeworfen und von Tauchern der Mafia schließlich abgenommen werden. Oder, dass Schnellboote die Lieferungen kurz vor dem Hafen noch abnehmen.

"Deutschland ist ein Mafia-Hotspot. Hier können Geschäfte entspannter abgewickelt werden als in Italien."
Benedikt Strunz, NDR-Journalist

Interessant an den Aussagen ist auch: Deutschland ist klar ein Zentrum für die Geschäfte der 'Ndrangheta. Giuseppe M. berichtet, dass hier Netzwerke an Restaurants und Eisdielen gebildet wurden, mit denen Geld gewaschen und Firmen aufgebaut wurden.

Prozesse in Deutschland leichter

Denn: Vieles ist hier leichter als in Italien. Gründet jemand eine Firma, wird er weniger durchleuchtet als in Italien. Auch ist es hier in Deutschland viel schwieriger einer Person ihr Eigentum wieder abzunehmen – selbst, wenn es illegal erworben wurde.

Außerdem hat Giusseppe M. bereits ausgesagt, dass es für ihn in Deutschland sehr entspannt gewesen sei, mit wirklich großen Mengen Bargeld Dinge zu kaufen. Beispielsweise ein Auto für 50.000 Euro. Das sei hier kein Problem, im Gegensatz zu Italien.

"Das Tragische ist, dass diese Punkte in der Politik bekannt sind. Wenn sich das aber nicht ändert, wird Deutschland weiterhin ein sehr beliebter Standort für die Mafia sein."
Benedikt Strunz, NDR-Journalist

In diesem Fall wurde schon ermittelt, unter dem Namen "Operation Pollino". Ein so redseliger Kronzeuge erleichtert die Ermittlungen natürlich und bringt sie nach vorne, sagt Benedikt Strunz. Aber es geht auch ohne Kronzeugen: Dann wenn eine internationale Strukturermittlung besteht.

Zu wenig Personal in Drogenfahndung

Viele Fahnder sehen aber genau da ein Problem in Deutschland. Sie sagen: Es werden zu viele Personen im Bereich Terrorismus und Cyber-Kriminalität eingesetzt und zu wenig im Bereich der Organisierten Kriminalität und im Drogenhandel.

Es müssten nicht nur mehr Ermittler sein, sondern sie müssten auch besser geschult sein, sagt Benedikt Strunz. Denn sie müssen imstande sein, international zu fahnden und mit Kollegen aus aller Welt zusammenzuarbeiten.

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Shownotes
Kokain und Geldwäsche
Die italienische Mafia ist längst in Deutschland angekommen
vom 12. Oktober 2020
Moderator: 
Ralph Günther
Gesprächspartner: 
Benedikt Strunz, NDR-Journalist