Eigentlich wollte der US-Präsident mit Luftangriffen im Irak Stärke demonstrieren. Vor der amerikanischen Botschaft in Bagdad zeigt sich seine Schwäche – insbesondere dem Iran gegenüber, sagt der Journalist Daniel Gerlach.

Als Reaktion auf US-Luftangriffe gegen schiitische Milizen am Wochenende sind am Dienstag, den 31.12.2019, hunderte Demonstranten in Bagdads Grüne Zone eingedrungen, um die US-Botschaft zu stürmen. Mehrere Wachhäuschen wurden in Brand gesetzt (unser Bild), Mauern beschmiert und Brandsätze geworfen. Sicherheitskräfte drängten die Demonstranten jedoch zurück.

Die USA machen den Iran für die Proteste verantwortlich, weil Teheran die schiitischen Milizen im Irak unterstützt. Die Führung in Teheran weist den Vorwurf zurück. Daniel Gerlach findet die US-Interpretation allerdings plausibel. Er hat mit uns die Reihe von Gewaltakten in der Region zu einem Gesamtbild geordnet und über die Hintergründe gesprochen.

USA in der Zwickmühle

Er berichtet, dass im Irak eine sehr große Zahl verschiedener politischer und militärischer Gruppen aktiv ist. In der jüngeren Vergangenheit hat es dort auch gewalttätige Proteste gegen den Iran gegeben. Dabei sei auch die Iranische Botschaft in Bagdad mit Brandsätzen angegriffen und belagert worden. Daniel Gerlach hat den Eindruck, dass Iran und seine Verbündeten mit den Protesten vor der US-Botschaft eine Symmetrie der Protestbewegungen herstellen wollen.

Die amerikanische Seite finde sich nun in einer ungünstigen Lage: Einerseits wolle sie keinen Krieg anfangen, besonders im Jahr des Präsidentschaftswahlkampfs nicht, andererseits Stärke demonstrieren.

"Diejenigen, die versuchen, die Amerikaner in eine Zwickmühle reinzuziehen, haben Erfolg gehabt."

Eine Chronologie der Ereignisse:

  • 27.12.2019 Raketenangriff auf irakische Militärbasis in Kirkuk (ein Toter US-Angestellter, mehrere
    Verletzte).
  • 29.12.2019 US-Luftangriffe auf schiitischen Miliz Kata'ib Hezbollah (etwa 25 Tote, circa 50 Verletze).
  • 31.12.2019 In Folge der Begräbnisfeiern versuchen pro-iranische Milizionäre und Unterstützer, die US-Botschaft in Bagdad zu stürmen.

Auslöser der Proteste vor der US-Botschaft waren Luftangriffe der USA auf Einrichtungen der schiitischen Miliz Kata'ib Hezbollah – auch Hisbollah-Brigaden genannt. Dabei starben 25 Menschen, 50 weitere wurden verletzt. Die vom Iran unterstützte Gruppe wird seit 2009 von den USA als Terrororganisation eingestuft und soll für mehrere Angriffe auf US-Einheiten im Irak verantwortlich sein.

Unbedachte Luftangriffe

Mit den Luftangriffen habe US-Präsident Donald Trump versucht, vorzugehen wie die israelische Luftwaffe in der Region, sagt Daniel Gerlach. Israel habe allerdings keine dauerhaften Einrichtungen in iranischem Einflussgebiet. Die USA sind hingegen durch ihre Truppen in der Region exponiert, also angreifbar. Eine Einschätzung, die beispielsweise auch der Kommentator Peter Beinart teilt.

"Ich habe den Eindruck, Trump dachte, er könnte das so erfolgreich machen, wie die Israelis. Die haben aber keine Botschaft in Bagdad."

Immer wieder hätten iranische Gruppen im Irak versucht, die US-Streitkräfte mit symbolischen Nadelstichen zu provozieren, sagt Daniel Gerlach. Vergangenen Freitag, den 27.12.2019, waren bei Raketenangriffen auf eine irakische Militärbasis im nord-irakischen Kirkuk ein dort stationierter US-Angestellter getötet und vier US-Soldaten verletzt worden. Darauf flog die US-Luftwaffe ihre Angriffe.

Immerhin: Keine Schüsse vor der Botschaft

Wenigstens hätten dann bei dem Angriff auf die US-Botschaft alle Beteiligten gewusst, was eine Eskalation bedeutet und für die Umstände einen relativ kühlen Kopf behalten, sagt Daniel Gerlach.

"Man muss den Amerikanern zu Gute halten, dass hier nicht Marines auf Demonstranten geschossen haben, das war sehr, sehr klug."

Auf der anderen Seite hätten irakische Politiker, die durch ihre Teilnahme an den Protesten Volksnähe demonstriert haben, dann doch ihre Leute zurückgepfiffen.

Dschihadisten käme ein Krieg gerade recht

Das US-Militär verlegte zum Schutz der Botschaft umgehend rund 100 Marineinfanteristen aus dem benachbarten Kuwait. Am Mittwoch entsandten sie rund 750 Fallschirmjäger in die Region. Derzeit sind rund 5000 US-Soldaten im Irak stationiert.

"Wenn tatsächlich Iraker, Amerikaner und Iraner anfangen, im Irak offen aufeinander zu schießen, richtig den Krieg dort anfangen würden, dann wäre das für alle Seiten eine Katastrophe."
Daniel Gerlach, Chefredakteur des Magazins Zenith

Von einer Eskalation im Irak würden am ehesten noch der IS, also die Dschihadisten im Land profitieren, sagt Daniel Gerlach. Er leitet das Magazin Zenith, das sich mit dem Nahen Osten, Nordafrika und der muslimisch geprägten Welt befasst. Der Journalist war noch in der Vorweihnachtszeit im Irak unterwegs.

US-Botschaft bleibt vorerst geschlossen

Der irakische Premierminister Abdel Mahdi ist derzeit nur eingeschränkt handlungsfähig. Er hatte im November nach wochenlangen Protesten gegen die Regierung seinen Rücktritt eingereicht und ist nur noch geschäftsführend im Amt.

Nach den gewaltsamen Protesten an der US-Botschaft in Bagdad herrscht dort nun gespannte Ruhe. Die Demonstranten zogen sich aus der besonders gesicherten Grünen Zone im Zentrum der irakischen Hauptstadt zurück. Die US-Botschaft bleibt bis auf Weiteres geschlossen.

Daniel Gerlach
© Deutscher Levante Verlag
Daniel Gerlach, Chefredakteur des Magazins Zenith

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de

Shownotes
Nahost-Politik
Irak: USA in der Zwickmühle
vom 02. Januar 2020
Moderator: 
Ralph Günther
Gesprächspartner: 
Daniel Gerlach, Chefredakteur des Magazins Zenith