Spontan irgendetwas online gesehen, klickt und gekauft – das passiert wahrscheinlich allen mal. Wenn das zum Dauerzustand wird, ist es Kaufsucht. Betroffene brauchen Unterstützung, um aus der Spirale auszubrechen. Hilfe bieten auch Apps.

Im Englischen ist von compulsive shopping, also zwanghaftem Einkaufen, die Rede, während im Deutschen meist der Begriff Kaufsucht verwendet wird. Doch was genau steckt hinter diesem Phänomen?

Laut einem Nature-Artikel wird unter Forschern noch diskutiert, ob es sich um eine krankhafte Störung der Impulskontrolle oder um eine Suchterkrankung handelt. Die Mehrheit der Fachleute tendiere mittlerweile zur letzteren Interpretation.

"Was ist denn eigentlich normales Kaufverhalten? Weil irgendwie Konsum ist nun mal eines der Leitmotive unserer modernen Gesellschaft."
Michael Gessat, Deutschlandfunk-Nova-Netzreporter

Deutschlandfunk-Nova-Netzreporter Michael Gessat erklärt, dass Kaufsucht vergleichbar sei mit anderen Suchterkrankungen wie Drogensucht, Alkoholsucht oder Spielsucht. Allerdings sei die Kaufsucht noch nicht als eigenständiges Krankheitsbild im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders verzeichnet.

Der Grund dafür liege in der Schwierigkeit, normales Kaufverhalten von pathologischem zu unterscheiden. Schließlich sei Konsum eines der Leitmotive unserer modernen und kapitalistischen Gesellschaft.

Der Dopamin-Kick: Warum Kaufen süchtig macht

Bei Kaufsüchtigen läuft laut Gessat die gleiche Kaskade ab wie bei anderen Suchterkrankungen. Er beschreibt, dass der Kauf zu einer Ausschüttung des sogenannten Glückshormons Dopamin im Belohnungszentrum des Gehirns führt. Dieser Kick verfliege jedoch nach kurzer Zeit wieder, und man wolle ihn möglichst bald wieder haben, zum Beispiel in Stresssituationen.

"Dieser Kick verfliegt aber nach kurzer Zeit wieder. Man will ihn möglichst bald wieder haben, zum Beispiel in Stresssituationen."
Michael Gessat, Deutschlandfunk-Nova-Netzreporter

Doch dieser Effekt nutze sich mit der Zeit ab, sodass Betroffene den Kick immer öfter und immer stärker bräuchten. Gleichzeitig werde das Konto immer leerer, und die ungeöffneten Pakete türmten sich zu Hause.

"Auch da wird man das natürlich als Betroffene oder Betroffener dann ziemlich eindeutig selbst diagnostizieren können: Das ist jetzt zwanghaftes Shoppen oder Kaufsucht."
Michael Gessat, Deutschlandfunk-Nova-Netzreporter

Gessat betont, dass man als Betroffene oder Betroffener daran ziemlich eindeutig selbst erkennen könne, ob es sich um zwanghaftes Shoppen oder Kaufsucht handle.

Der perfekte Nährboden für Kaufsucht

Während Kaufsucht früher vor allem im stationären Handel stattfand, verlagert sie sich immer mehr ins Internet. Es sei grundsätzlich auch sehr bequem. Heute bestellt sei die Ware oft morgen bei uns.

Doch genau diese Bequemlichkeit kann zum Problem werden. Der Nature-Artikel nennt zwei verwandte Aspekte, die das Online-Shopping besonders verlockend machen: Zum einen die Käufe in Apps oder Computerspielen, sogenannte Lootboxen, bei denen ein direktes Glücksspiel-Element hinzukommt.

"Diese Spielelemente, so steht es in dem Artikel, machen den Einkauf eben für entsprechend gefährdete Leute dann quasi schon unwiderstehlich."
Michael Gessat, Deutschlandfunk-Nova-Netzreporter

Zum anderen Gamification-Elemente auf Shopping-Plattformen wie Shein oder Temu, wo Rabattpunkte gesammelt oder Niedrigpreis-Countdowns genutzt werden können.

Regulierung: Schwierig bis nicht gewollt

Die EU hat bereits ein offizielles Verfahren gegen Temu eingeleitet und dabei explizit das abhängig machende Design der Plattform kritisiert. Doch Gessat ist skeptisch, ob Regulierung das Problem lösen kann. Er erklärt, dass die Schwierigkeit liege, normales Konsumverhalten von pathologischem zu unterscheiden.

"Deswegen erwartet einer der in dem Nature-Artikel zitierten Forscher auch eine weitere Verschärfung des Kaufsucht-Problems."
Michael Gessat, Deutschlandfunk-Nova-Netzreporter

Hinzu kommt, dass nicht nur die EU, sondern auch die USA eine wichtige Rolle spielen. Durch Donald Trump und Elon Musk sei hier eher nicht mit strengerer Regulation zu rechnen.

Hilfsangebote für Betroffene

Für Betroffene gibt es mittlerweile eine Reihe von Hilfsangeboten, darunter auch Apps. Gessat beschreibt, dass es allgemeine Coaching- und Verhaltens-Monitoring-Apps gebe, aber auch Budget-Apps, die auf die Ausgabenkontrolle abzielten. Zudem gebe es Apps, bei denen man eine Wunschliste erstelle, Artikel priorisiere und die Käufe registriere, um das Ganze zu rationalisieren.

Ob diese Apps helfen, hänge stark von der jeweiligen Person und ihrem individuellen Problem ab. Doch eines ist klar: Das Problem der Kaufsucht wird uns in einer zunehmend digitalisierten Welt weiter beschäftigen.

Shownotes
Krankhaftes Kaufen
Online-Binge-Shopping fördert Kaufsucht
vom 05. März 2025
Moderator: 
Christoph Sterz
Gesprächspartner: 
Michael Gessat, Deutschlandfunk-Nova-Netzreporter