Ukrainische Kulturgüter: "Alles ist bedroht"
Der Krieg in der Ukraine richtet sich gegen Menschen und gegen deren Kultur. Deshalb sind auch Kulturdenkmäler, Kunstwerke und Gebäude Ziele von russischen Angriffen. Aus diesen Bauwerken, Denkmälern und Kunstwerken definiert sich unter anderem das kulturelle Selbstverständnis der ukrainischen Bevölkerung.
Die Kunsthistorikerin Tanja Bernsau spricht über die Geschichte des Siegerrechts, demnach waren Plünderungen im Krieg lange Zeit üblich, erst Mitte des 19. Jahrhunderts wurden sie infrage gestellt. Ein entscheidender Schritt hin zum rechtlichen Schutz von Kulturgut wurde noch viel später durch eine Abteilung der US-Army getan: die sogenannten 'Monuments Men'. Diese Abteilung wurde nach dem Angriff auf Pearl Habour (1941) gebildet. Die Idee war es, eine Art Rotes Kreuz zu bilden, beziehungsweise erste Hilfe für Kulturgüter zu leisten.
"Es war jahrhundertelang gängige Praxis der Sieger, die Kulturgüter der Besiegten zu rauben."
Oleksandra Provozin arbeitet für das Stadtmuseum Lwiw. Das historische Zentrum ihrer Stadt zählt seit 1998 als Unesco-Weltkulturerbe. Alle Bauten der Altstadt hätten die beiden Weltkriege unzerstört überlebt. Jetzt fürchtet Provozin, die Bauwerke könnten unter russischem Beschuss zerstört werden.
"Städtebaulich und architektonisch ist Lwiw ein herausragendes Beispiel für die Synthese architektonischer und künstlerischer Traditionen Osteuropas mit den Traditionen Italiens und Deutschlands."
Oleksandra Provozin berichtet von den Versuchen, Denkmäler und Kunstwerke durch feuerfeste Stoffe oder Sandsäcke zu schützen. Allerdings sei das für die Holzhäuser, für die die Stadt Tschernihiw berühmt sind, keine Lösung.
Transport von Kulturgütern kann zu Verlusten führen
Auch müsse bei beweglichen Kulturgütern genau überlegt werden, ob man sie zu ihrem Schutz bewegen wolle, denn allein diese Mobilisierung könne Verlust bedeuten. Manchmal seien Scanner hilfreich zur Bewahrung des kulturellen Erbes, um so beispielsweise Dokumente digitalisieren und archivieren zu können.
"Alle Denkmäler des Landes, das materielle und immaterielle Erbe aus unterschiedlichen Kulturen sind heute von der Zerstörung bedroht. Alles ist bedroht."
Die Vorträge:
Oleksandra Provozin hat in Lwiw Architektur und Klavier studiert. Als Erasmus-Stipendiatin absolvierte sie ein Austauschjahr an der Humboldt-Universität zu Berlin im Fach Kunstgeschichte. Es folgte das Masterstudium 'Schutz Europäischer Kulturgüter' an der Europa-Universität Viadrina. Seit 2017 arbeitet Oleksandra Provozin im Stadtmuseum Lwiw. Ihr Vortrag hat den Titel "Sicherung von Kulturgütern in Lviv und der Ukraine".
Tanja Bernsau hat in ihrer Doktorarbeit zum Central Collecting Point Wiesbaden geforscht, der nach Kriegsende im heutigen Landesmuseum Wiesbaden untergebracht war. Auch sie hat zur Weiterbildung 'Schutz Europäischer Kulturgüter' an der Viadrina studiert. Ihr Vortrag hat den Titel "Historische Aspekte des Schutzes von Kulturgütern bei bewaffneten Konflikten am Beispiel des Zweiten Weltkriegs". Beide haben am 6. April 2022 anlässlich des Online-Webinars "Kulturgutschutz bei bewaffneten Konflikten" der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder vorgetragen.
- Liste gemeldeter Kriegsverbrechen gegen ukrainische Kulturgüter (Englisch)
- Haager Konvention | Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe