Krieg, Terror, Geflüchtete: Kamerun ist laut der Hilfsorganisation NRC die am meisten vergessene Krisenregion. Denn das Land steckt mitten in mehreren Krisen gleichzeitig. Was passieren müsste, damit Kamerun mehr Aufmerksamkeit bekommt.

Kamerun liegt auf Platz 1 der vergessenen Vertreibungskrisen dieser Welt, sagt die Hilfsorganisation Norwegian Refugee Council (NRC). Das Land wird von vielen Krisen gleichzeitig geschüttelt, berichtet Antje Diekhans, ARD-Korrespondentin in Nairobi.

"Es gibt so viele Krisenherde in Kamerun, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll."
Antje Diekhans, ARD-Korrespondentin in Nairobi

Zum einen zerfällt Kamerun in zwei Teile, erklärt sie: einen französischsprachigen im Osten und einen englischsprachigen im Westen. Das ist ein Erbe der Kolonialzeit. Die Menschen im englischsprachigen Teil fühlen sich unterdrückt, berichtet sie weiter. Der Wunsch: Abspaltung oder zumindest mehr Autonomie. Die Regierung Kameruns reagiert darauf mit militärischer Gewalt, im Westen des Landes herrscht ein Bürgerkrieg.

Hinzu kommt im Norden des Landes Terror durch die islamistische Terrorgruppe Boko Haram. Außerdem kommen aus Nigeria zahlreiche Flüchtlinge ins Land. Das führt zu einer großen Anzahl von Vertriebenen: Im Land sind mehr als eine Million Menschen auf der Flucht.

Kamerun: Situation für Frauen besonders schlimm

Insbesondere für Frauen ist die Lage in Kamerun dramatisch. Vor allem von den Regierungstruppen im Westen wird auch Vergewaltigung als Waffe eingesetzt, berichtet Antje Diekhans mit Berufung auf einen Menschenrechtsanwalt. Im Norden sind die Frauen zudem Opfer von Gewalt und auch Verschleppungen durch Boko Haram.

"Es gibt eine Initiative mehrerer Aktivistinnen in Kamerun, die sagen: Wenn wir diesen Konflikt beenden wollen, dann müssen Frauen mehr gehört werden."

Die Regierung ist Teil des Konflikts, erklärt die Korrespondentin. Der Präsident Kameruns, Paul Biya, ist mit 92 Jahren der älteste amtierende Staatschef der Welt und regiert Kamerun schon seit 1982 - sage und schreibe 43 Jahre.

Foto des Präsidenten Kameruns, Paul Biya, und seiner Frau, wie sie bei den Nationaltagsfeierlichkeiten in Kameruns Hauptstadt Yaounde, am 20. Mai 2025 Gäste begrüßen
© picture alliance / Xinhua News Agency | Kepseu
Kameruns Präsident Paul Biya grüßt bei Feierlichkeiten zu Kameruns Nationaltag Gäste. (Yaounde, Kamerun, Mai 2025)

Bei den diesjährigen Wahlen will er wohl wieder antreten. Sollte er noch mal gewinnen, stehen die Zeichen auch weiterhin nicht auf Veränderung, befürchtet Antje Diekhans.

Die Krise in Kamerun dauert schon lange an

Kamerun belegt nicht zum ersten Mal den traurigen Platz 1 auf der Liste der vergessenen Vertreibungskrisen, erinnert unsere Korrespondentin, und unter den Top 10 ist das Land schon seit es diese Liste überhaupt gibt.

"Es fehlt der Bezug zu Kamerun."
Antje Diekhans über die Gründe, warum über Kamerun so wenig gesprochen wird

Einer der Gründe dafür, dass die Situation sich in den vergangenen kaum verändert hat, ist eben, dass über den Konflikt dort so wenig gesprochen wird, vermutet Antje Diekhans. Der zweite: Andere Länder haben kaum ökonomische Interessen in Kamerun - anders als bei anderen Ländern, die etwa über Rohstoffe verfügen, die wir benötigen.

Kameruns Kinder fehlen Schulen

Dass dieser Konflikt in Vergessenheit geraten ist, führt dazu, dass das Land dringend nötige Hilfen nicht bekommt, warnt das NRC. Neben klassischer Nothilfe seien das auch Schulen.

"Viele Schulen sind in dem Konflikt zerstört worden. Das heißt, Jungen und Mädchen werden nicht mehr unterrichtet. Und das ist dann eben ein Mangel, der sie ein Leben lang begleitet."
Antje Diekhans, ARD-Korrespondentin in Nairobi

Laut der humanitäre Organisation wären im vergangenen Jahr 200 Millionen Dollar Hilfe für Kamerun notwendig gewesen. Klingt viel – andererseits ist das genau das, was Cristiano Ronaldo im letzten Jahr verdiente, oder ein Bruchteil dessen, was Taylor Swift mit ihrer Tournee eingespielt hat, rechnet Ante Diekhans vor.

Die Welt muss auf die Krisenländer schauen

Damit sich etwas ändert, müsste die internationale Gemeinschaft stärker auf die Krise schauen, sagt die Korrespondentin. Im Moment sehe es aber leider eher nach dem Gegenteil aus. Nicht nur die USA massiv, auch andere Länder prüfen derzeit ihre Hilfs- und Entwicklungsausgaben – auch Deutschland. Keine guten Nachrichten für die Länder auf der NRC-Liste.

"Für all diese Länder sieht es was Hilfsgelder und internationale Unterstützung angeht, leider eher ein bisschen schlechter aus als noch vor einiger Zeit, glaube ich."
Antje Diekhans, ARD-Korrespondentin in Nairobi

Redaktioneller Hinweis: Das Titelbild unseres Beitrags zeigt Geflüchtete in Kamerun im März 2024.

Shownotes
Kritik von Hilfsorganisation
Die Welt schaut nicht nach Kamerun
vom 04. Juni 2025
Moderation: 
Nik Potthoff, Deutschlandfunk Nova
Gesprächspartnerin: 
Antje Diekhans, ARD-Korrespondentin in Nairobi