Am Sonntag findet die Stichwahl zwischen Marine Le Pen und Emmanuel Macron statt. Beide Kandidat*innen liegen in der Wähler*innengunst dicht beieinander. Die Wahlbeteiligung könnte ausschlaggebend werden.
Die Kontrahenten Marine Le Pen und Emmanuel Macron lieferten sich am Mittwochabend (20. April 2022) beim einzigen TV-Duell eine intensive Debatte um die Zukunft Frankreichs. Dass Macron aus Zuschauersicht als klarer Sieger aus dem Duell hervorging und auch in der Wähler*innengunst die Nase vorn hat, muss keineswegs bedeuten, dass der Amtsinhaber auch Präsident bleibt.
Ronja Kempin von der Stiftung Wissenschaft und Politik erklärt, dass es massive Auswirkungen auf die Europäische Union hätte, wenn Le Penn von der Partei Rassemblement National die Siegerin der Wahl werde. Kempin verweist auf Le Pens Wahlprogramm: "Wenn wir davon ausgehen, dass sie das Programm umsetzt, würde das bedeuten, dass sie die französischen Beiträge zum Haushalt der Europäischen Union kürzen wird."
Auswirkungen von Le Pens Sieg auf EU und Nato
- Sie will französische Beiträge zum Haushalt der Europäischen Union kürzen.
- Sie sagt, dass das europäische Recht nicht länger Vorrang vor dem nationalen haben darf.
- Sie kündigt an, die Grenzen zwischen den EU-Mitgliedstaaten zu schließen.
- Die Personenfreizügigkeit soll nach ihrer Auffassung eingeschränkt werden.
- Sie ist gegen eine Verlängerung der Sanktionen gegen Russland.
Marine Le Pen begründet den möglichen Stopp der Sanktionen gegen Russland mit dem Schaden, der aus ihrer Sicht der französischen Wirtschaft entstehen würde.
Ronja Kempin erklärt aber, dass die Kandidatin ihre Vorhaben ohnehin nicht komplett eigenständig durchziehen könnte, weil es noch ein französisches Parlament gibt. Im Juni wird dieses in Frankreich neu gewählt: "Das wäre die erste Möglichkeit, um die Machtfülle der Präsidentin einzuhegen. Sie müsste dann – so ist die Hoffnung – eine Premierministerin oder einen Premierminister aus einem gegnerischen Lager benennen, der dann die Wahlen zur/zum Präsident*in des Parlaments gewinnen müsste."
Vergleich von Le Pen zu Trump
Auch der französische Verfassungsrat hat Einfluss auf die Entscheidungen aus dem Élysée-Palast. Es bleibe die Hoffnung, dass die Institutionen bei bestimmten Entscheidungen greifen, sollte Le Pen gewinnen, so Kempin.
Doch sie gibt zu bedenken, dass die rechte Kandidatin – Kempin zieht hier einen Vergleich zur Trump-Präsidentschaft in den USA – staatliche Institutionen in Mitleidenschaft ziehen kann: "Trump hat auf internationaler Ebene wahnsinnig viele Scherben zerbrochen."
"In der EU und in der Nato hat man die Befürchtung, dass Frankreich unter Le Pen ein ähnliches Verhalten wie die USA unter Trump an den Tag legt."
In der EU und in der Nato habe man die Befürchtung, dass Frankreich unter Le Pen ein ähnliches Verhalten wie die USA unter Trump an den Tag legt.
Beispielsweise hat Le Pen angekündigt, Frankreich aus den integrierten Strukturen zurückzuziehen. So könnten französische Soldaten aus Ost- und Mitteleuropa wieder abgezogen werden.
Ob der Appell von anderen Staatschef*innen in einigen Medien für die Wahl von Macron kontraproduktiv sein könnte, möchte Ronja Kempin nicht bewerten. "Der Appell ist in der Pariser Zeitung Le Monde erschienen. Die lesen Anhängerinnen und Anhänger von Le Pen eher wenig, weil sie größtenteils im ländlichen Raum Frankreichs leben. Dort orientiert man sich eher an der regionalen Presse. Von daher lesen den Appell eher Leute, die schon überzeugt sind von Macron."
Ronja Kempin schätzt den Ausgang der Wahl zugunsten Le Pens nicht hoch ein, da Macron im Augenblick einen deutlichen Vorsprung hat. Ausgeschlossen ist eine Überraschung bei der Wahl dennoch nicht.
Repräsentation durch Kandidat*in
"Die große Unbekannte bleibt weiter die Wahlbeteiligung. Es gibt Schätzungen, dass tatsächlich ein Drittel der Wähler*innen am kommenden Sonntag den Urnen fernbleiben, weil sie denken, dass die Wahl ohnehin schon gelaufen ist. Die Umfragen geben dem Präsidenten einen wachsenden Vorsprung. Andere rechtfertigen ihre Nichtwahl mit dem Argument, dass sie sich weder von Le Pen noch von Macron repräsentiert fühlen", sagt Ronja Kempin.