Massenhaft Klicks mit Ekel-Content? Das erledigt Kaleigh in Hanna Bervoets' Buch "Dieser Beitrag wurde entfernt". Doch ihre Hauptfigur taugt nicht als Opfer der fiesen Arbeit.
Diese eine Frage kommt immer, sobald Kayleigh von ihrem Job bei Hexa erzählt: Und was hast du da so alles gesehen? Die meisten Fragenden wollen nicht wirklich wissen, was Kayleigh da stundenlang macht, in einem Großraumbüro, in dem zig Computer stehen, mit denen man keine E-Mails empfangen oder senden kann. Festnetztelefone gibt es auch nicht. Und ihre Handys müssen die Mitarbeiter*innen vor ihrer Schicht in Schließfächer deponieren.
Und dann? Was würden die Fragenden mit diesen Informationen anfangen? Würden sie ihr glauben? Würden sie sie bedauern? Oder sogar beneiden? Würden sie eine Konsequenz aus dem Gehörten ziehen: ihre Social Media-Profile löschen, sich Kampagnen gegen den Hass anschließen, in die Politik oder für schärfere Gesetze und mehr Kontrolle auf die Straße gehen?
Heftig, heftig, heftig
Kayleigh hat keinen blassen Schimmer, sie weiß nur, dass Mitleid in ihrem Fall nicht angebracht ist. Sie kann schon verstehen, warum sich einige ihrer früheren Kolleg*innen einer Sammelklage gegen Hexa angeschlossen haben, warum sie ihre Angst- und Schlafstörungen, ihre Panikattacken und Albträume damit zu bekämpfen versuchen, indem sie Hexa für ihr Leid zur Rechenschaft ziehen. Kayleigh hat schließlich auch gelitten. Nur anders.
Hanna Bervoets' Buch "Dieser Beitrag wurde entfernt" ist kein Vergnügen. Die Geschichte überfällt einen, wie ein von irgendeinem stumpfsinnigen Algorithmus zugespieltes Video. Es endet nach gut einhundert Seiten so heftig, wie es begonnen hat. Die Autorin lässt uns mit dem Drang zurück, nochmal von vorne zu beginnen, um irgendwie zu verstehen, was das war, was man da serviert bekommen hat, obwohl es nicht angenehm gewesen ist.
Sie braucht das Geld
Der Roman erzählt von Kayleigh. Die junge Frau kann weder mit ihren Gefühlen noch mit Geld umgehen. Sie hatte sich von ihrer Ex-Freundin Yena ordentlich ausnehmen lassen und musste dringend einen Job mit gutem Gehalt finden. Da hatte die Stellenausschreibung von Hexa wie ein Omen geklungen. Kayleigh würde Content sichten und evaluieren, also löschen oder online stehen lassen. Und der Content war auch wirklich das, was man sich sofort darunter vorstellt: alles von Hitlergruß bis Enthauptung, also: die absolute Scheiße.
Kayleigh hatte schnell begriffen, worauf sie sich eingelassen hatte. Und als sie dann irgendwann trotzdem gekündigt hatte, dann nicht wegen der grausamen Bilder. Oder wegen der miesen Arbeitsbedingungen und fehlenden psychologischen Betreuung. Nein. Kayleigh war kein Opfer. Im Gegenteil.
Die Autorin: Hanna Bervoets, geboren 1984, ist eine der meistgelesenen niederländischen Autorinnen. Für ihre Romane wurde sie vielfach ausgezeichnet, 2017 erhielt sie den renommierten Frans-Kellendonk-Preis für ihr Gesamtwerk. Hanna Bervoets lebt mit ihrer Partnerin in Amsterdam.
Das Buch: "Dieser Beitrag wurde entfernt" (Im Original: "Wat wij zagen") von Hanna Bervoets, aus dem Niederländischen ins Deutsche übersetzt von Rainer Kersten, Hanser, 112 Seiten, Hardcover: 20,- Euro, E-Book: 15,99 Euro.