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Können Öko-Landbau, soziale Gerechtigkeit, faire Bezahlung und Gleichberechtigung einen Haken haben? Ernest Callenbachs visionärer Roman "Ökotopia" ist 1975 erschienen und bis heute aktuell.

Es ist ein Morgen, der wie die anderen begann. William hat es hinaus getrieben, raus aus dem Hotelzimmer und rein in die grüne Stadt. Es ist der elfte Mai – und damit der achte von insgesamt 42 Tagen, die William in diesem Land verbringen wird. Und kein Tag ist bisher vergangen, ohne dass er nicht etwas Außergewöhnliches erlebt hätte.

Diesmal hat es William in ein kleines Straßencafé verschlagen. Er möchte die Menschen studieren. Da wird er plötzlich Zeuge einer merkwürdigen Szene: Neben ihm legt ein Mann sein Besteck ab und erhebt die Stimme. Seine Spiegeleier seien ja völlig trocken, beschwert er sich. Und er sagt es nicht etwa zum Kellner, sondern zu allen Anwesenden, als stünde er auf einer Bühne.

William wird in "Ökotopia" Zeuge eines merkwürdigen Schauspiels

Der Kellner kommt sofort, und William ist sich sicher, dass er ihm eine neue Portion Spiegeleier bringen wird. Doch er irrt sich. Gemeinsam eilen Gast, Kellner und weitere Anwesende zur Theke. Die Köchin wird gerufen. Dann kosten alle vom Ei und diskutieren wie wild durcheinander. Die Eier werden schließlich für zu trocken befunden. Aber anstatt die Köchin zu ermahnen, wird erkannt, warum sie die Eier zu lange braten ließ. Weil sie nämlich gleichzeitig mehrere Bestellungen im Blick behalten musste, zu viele für eine Person.

Und dann krempeln ein paar Gäste ihre Ärmel hoch, wechseln hinter die Theke, umarmen die gerührte Köchin und arbeiten für eine Weile in der Küche mit.

Ein Utopie-Roman, der bis heute inspiriert

Das ist nur eine der zahlreichen und verwirrenden Beobachtungen, die der Schriftsteller Ernest Callenbach in seinem Romandebüt den Reporter William Weston machen lässt. William wird Anfang der 1980er Jahre für insgesamt sechs Wochen in ein Land geschickt, das sich von den USA abgespalten und abgeschottet hat. Es nennt sich "Ökotopia".

Callenbachs Utopie-Roman entstand 1975 und wurde vielen zur Inspiration. Denn er beschreibt darin ein Leben, das wir zwar teilweise heute leben, von dem wir aber dennoch weit entfernt sind. So trennen wir unseren Müll und erlauben Teilzeit, aber unsere Städte sind nicht autofrei, wir streben nach immer mehr Wachstum und werfen technische Geräte weg, weil wir sie nicht selbst reparieren können. Frauen und Männer sind immer noch nicht überall gleichgestellt.

Was verheimlichen die Ökotopier?

Was wäre, wenn es anders wäre? So wie in Ökotopia?! William hält und weiß davon wenig, als er dorthin aufbricht. Natürlich mit dem Zug. Denn Flugzeuge gibt es dort nicht, auch keine Verbrenner-Motoren. Lediglich kleine Elektroautos für die Gemeinschaft sind erlaubt. Auf den Straßen stehen Bäume, Blumen und jede Menge Sitzgelegenheiten. Alle arbeiten 20 Stunden in der Woche, der Rest ist Freizeit.

Mit jedem Tag, der vergeht, fühlt sich William wohler. Er führt Gespräche, wie nie zuvor. Es ist so schön – zu schön, um wahr zu sein. William spürt, dass ihm die Ökotopier etwas verheimlichen. Gibt es ihn doch, den Haken?

Das Buch: "Ökotopia" (OT: "Ecotopia", 1975) von Ernest Callenbach, (neu) aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Holger Hanowell, Reclam, 282 Seiten, ET: (Neuauflage) 11.10.2022.

Shownotes
Das perfekte Buch für den Moment...
...wenn du das erste Mal lieber Bahn statt Auto fährst
vom 03. März 2024
Autorin: 
Lydia Herms