Der mutmaßliche Mörder Stephan E. hat erst gestanden und dann widerrufen, dass er den hessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke vor einem Jahr erschossen hat. Der vorsitzende Richter Thomas Sagebiel wird vermutlich das Geständnis trotzdem prüfen.
Sein Geständnis zu widerrufen und zu seiner Tat zu schweigen, ist das gute Recht des Angeklagten Stephan E., sagt der Strafrechtsanwalt Udo Vetter. Damit verbunden ist auch das Recht, dass frühere Erklärungen von ihm nicht in den Prozess eingeführt werden. Das ist dann nur unter erschwerten Bedingungen im Sinne des Rechtsstaates möglich.
Auf jeden Fall ist es nicht so, dass ein Geständnis, das widerrufen wurden, nicht vor Gericht verwendet werden darf, betont Udo Vetter.
"Auf einem Geständnis hängt man erst einmal fest. Es ist nicht so, dass man einfach als Angeklagter im Prozess eine Äußerung widerruft und glaubt, die dürfe im Prozess mehr berücksichtigt werden."
In dem Fall, dass ein Angeklagter sein Geständnis widerruft, würde eine komplizierte juristische Prüfung in Gang gesetzt, ob und wie es – "sozusagen hinten rum" – trotzdem eingesetzt werden kann, erklärt Udo Vetter.
So landen widerrufene Geständnisse vor Gericht
Als Beispiel nennt der Strafrechtsexperte eine richterliche Vernehmung, die per Video aufgezeichnet wurde. Dieses Video darf in der Verhandlung vor Gericht gezeigt werden. Oder wenn die Aussagen von Polizisten bei der Vernehmung aufgeschrieben wurden, können diese zur Verhandlung geladen werden, um sie zur Vernehmung zu befragen.
"Nach 30 Jahren als Anwalt kann ich sagen: Wenn man mal irgendwann ein Geständnis abgelegt hat, muss man damit rechnen, dass man darauf festhängt."
Der Hauptgrund, warum Angeklagte ihr Geständnis zurückziehen, ist ein falsches Geständnis, sagt Udo Vetter. Das käme ziemlich häufig vor. Nur ein Beispiel: Strafpunkte wegen Geschwindigkeitsübertretungen. Da behaupten Fahrzeughalter nicht selten, selbst nicht gefahren zu sein.
Vor Gericht dürfen diese falschen Geständnisse - genauso wie ein DNA-Nachweis - nach der deutschen Rechtsauffassung nicht allein zu einer Verurteilung führen. Man muss das Geständnis sorgfältig abklopfen und nach allen Seiten prüfen, ob etwas dran ist, sagt der Strafrechtsanwalt.
Richter wird Videoaufnahmen prüfen
Im Fall von Stephan E. sind stundenlange Aussagen auf Video aufgezeichnet. Deshalb wird der Richter prüfen, über was in der Vernehmung gesprochen wurde und ob der Beschuldigte Detailwissen offenbart.
"Mord ist kein gutes Beispiel dafür, dass man sich mit einem Geständnis einen Strafrabatt erkaufen kann. Das ist ein Paradoxon in Mordfällen: Wieso sollen Angeklagte einen Mord gestehen, wenn sie sowieso lebenslang bekommen."
Ob Stephan E. ein Geständnis ablegt oder nicht, wirkt sich auf das Strafmaß nicht aus, erklärt Udo Vetter. Denn auf Mord steht lebenslang. Dass Stephan E. sich nach der Tat ohne juristischen Beistand ausführlich geäußert hat, erhöhe für ihn jetzt juristisch die Probleme.
"Es ist nicht so, dass durch den bloßen Satz: 'Ich widerrufe mein Geständnis', es nicht mehr gilt."
Tatsächlich kann das Geständnis von Stephan E. jetzt zu seinem Nachteil in den Prozess wiedereingeführt werden. Allein das Widerrufen des Geständnisses reicht dem Gericht nicht aus. Stephan E. müsste jetzt von sich aus erklären, warum das, was er damals ausgesagt hat, nicht stimmt.
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