Früher war es die Klavierpest, heute ist es der Laubbläser: Lärm ist eine subjektive Angelegenheit. Ein Historiker erklärt, wie unterschiedlich Lärm wahrgenommen wurde und wird.
Knapp 28 Prozent der Deutschen haben sich im vergangenen Jahr in ihrem Wohnumfeld durch Verkehrs- oder Nachbarschaftslärm belästigt gefühlt. Zwei Prozent mehr als noch 2017, teilt das Statistische Bundesamt mit. Innerhalb der Europäischen Union liegt Deutschland damit bei der gefühlten Lärmbelästigung auf einem Spitzenplatz. Denn im Schnitt fühlen sich EU-weit nur 18 Prozent der Meneschen durch Lärm belästigt.
Frank Uekötter ist Technik- und Umwelthistoriker an der Universität Birmingham. Er vermutet einen Zusammenhang zwischen Lärmproblemen und einem Leben in Ballungsräumen.
"Ich glaube, es liegt daran, dass Deutschland ein Land ist, in dem es viele Städte und Ballungsräume gibt. Weil das Lärmproblem erst mit dem Zuzug in die Stadt entstanden ist."
Der Historiker weist darauf hin, dass bereits Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland über den Lärm in Städten geklagt wurde – es ging um Klaviermusik, genauer um heimische Übungsstunden. Die bürgerlichen Kinder klimperten zu viel auf dem Klavier herum und forderten während der Übungszeiten ihre Ruhe.
"Da ärgerte man sich vor 100, 120 Jahren vor allem wegen der "Klavierpest", wenn das junge Bürgertum anfing zu üben."
Lärm ist unter den Umweltphänomenen ein Sonderfall. Frank Uekötter sagt, dass er sich nicht zuverlässig messen lässt. Das Dezibel sei als Notbehelf entstanden, als die ersten Telefone aufkamen. So werde zwar das Verhältnis Schalldruck zu Impuls irgendwie gemessen, für das subjektive Lärmempfinden gebe es aber keine Skala.
Die Lärmquelle ist entscheidend
Bei Lärmphänomenen habe der Kontext – beispielsweise der soziale – ein besonderes Gewicht, so der Historiker. Die Art der menschlichen Lärmquelle sei für das Lärmempfinden ganz erheblich. Dem Lärm, sagt Frank Uekötter, hafte in unsrer Kultur etwas Pöbelhaftes an.
"Der Anti-Lärm-Verein hat das vor gut 100 Jahren zum Motto gemacht: Stille ist vornehm. Die unteren Klassen waren immer lärmig und ungestüm, die oberen Klassen immer vornehm zurückhaltend. Das hallt in vielen Lärmkonflikten nach."
Sollte er selbst sich einmal durch Lärm belästigt fühlen, greift Frank Uekötter zu einem Trick: Er versucht, sich auf etwas anderes zu fokussieren, sich in eine Aufgabe zu vertiefen. Nach dem Motto: Der gemeine Engländer setzt erstmal einen Tee auf.
"Ich schlage ein Buch auf, vertiefe mich, und nehme um mich herum nichts anderes mehr wahr."
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