Knochenfunde zeigen, dass Menschenaffen aus dem Allgäu aufrecht gehen konnten. Diese neue Erkenntnisse legen nahe, dass sich der aufrechte Gang nicht – wie bisher angenommen – in Afrika entwickelt hat, sondern mitten in Deutschland: im Allgäu.

Davon träumt wahrscheinlich jeder Archäologe, jeder Paläontologe und auch jeder Anthropologe – eine Entdeckung machen, die von so großer Bedeutung ist, dass sie in die Geschichte eingeht. Für eine internationale Forschergruppe ist der Traum jetzt in Erfüllung gegangen. Sie sprechen von einem "spektakulären Fund."

Menschenaffe auf zwei Beinen

Das Forscherteam hat in einem Bachlauf im Unterallgäu versteinerte Fossilien einer bislang unbekannten Primatenart entdeckt: vom sogenannten Danuvius guggenmosi. Ein Menschenaffe klingt erstmal unspektakulär. Aber: Danuvius konnte sich wahrscheinlich nicht nur kletternd, sondern auch auf zwei Beinen fortbewegen.

In der ehemaligen Ziegelei haben die Forscher insgesamt 37 sehr gut erhaltene Menschenaffenfossilien gefunden, erzählt Madeleine Böhme, Professorin für Paläontologie an der Uni Tübingen. Darunter seien ein Männchen, das sie Udo getauft haben, zwei Weibchen und ein Jungtier – eine ganze Ur-Familie also.

"Er hatte gestreckte Knie, eine gestreckte Hüfte, er war in der Wirbelsäule und im Brustkorb so gebaut wie zweibeinige Menschen. Der zweibeinige Gang hat sich also bereits mit Menschenaffen herausgebildet."
Madeleine Böhme, Professorin für Paläontologie an der Uni Tübingen

Der Fundort liegt bei Pforzen, einer kleinen Gemeinde mit gerade einmal 2300 Einwohnern. In der Region gab es früher Auenwälder, viel Regen und mit etwa 20 Grad war die durchschnittliche Jahrestemperatur wärmer als heute. Udo habe sich vermutlich von härteren Pflanzenteilen als von weichen Blättern ernährt, spekulieren die Forscher. Der "neue Vorfahr des Menschen" war etwa einen Meter groß und brachte rund 30 Kilogramm auf die Waage.

"Das Alter ist spektakulär"

Neben dem Fundort sei aber vor allem das Alter der Fossilien spektakulär, sagt Madeleine Böhme. Denn bisher wurde angenommen, dass sich die menschliche Evolution ausschließlich auf dem afrikanischen Kontinent abgespielt habe. Bis jetzt war sich die Wissenschaft sicher: Das wichtigste Merkmal des Menschen – der aufrechte Gang – habe sich vor rund 6 Millionen Jahren entwickelt. Der Fund im Allgäu widerlegt die Theorie: Denn Udo ist 12 Millionen Jahre alt.

"Man glaubte bisher, dass der Übergang zum zweibeinigen Gang vor 6 Millionen Jahren einsetzte. Danuvius ist fast 12 Millionen Jahre alt. In diesem Zeitalter hätte zuvor niemand ein zweibeiniges Wesen vermutet."
Madeleine Böhme, Professorin für Paläontologin an der Uni Tübingen

Die Evolutionstheorie, die bislang den wissenschaftlichen Diskurs dominierte, sei damit hinfällig, sagt Madeleine Böhme. Ihr Team habe bewiesen: Der Beginn und die Evolution des aufrechten Gangs hat in Europa stattgefunden. Die Menschheitsgeschichte, so die Forscherin, muss jetzt neu geschrieben werden.

"Unsere Ergebnisse widersprechen der herrschenden Theorie komplett. Wir können sagen: Ja, aufgrund von Danuvius, müssen wir die frühe Phase der menschlichen Evolution komplett neu denken und damit neu schreiben."
Madeleine Böhme, Professorin für Paläontologin an der Uni Tübingen

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Shownotes
Spektakulärer Fund
Paläontologin: "Die Geschichte der Menschheit muss neu geschrieben werden"
vom 06. November 2019
Moderator: 
Ralph Günther
Gesprächspartnerin: 
Madeleine Böhme, Professorin für Paläontologin an der Uni Tübingen