Mia Goranovic ist in Deutschland aufgewachsen, hat aber nicht die deutsche, sondern die bosnische Staatsbürgerschaft. Sie möchte unbedingt in Portugal arbeiten, weil aber Bosnien nicht zur EU gehört, geht das nicht. Und das ist nur ein Nachteil, den Mia in ihrem Alltag spürt.

Paulus: Du bis 21-Jahre alt, in Deutschland geboren, trotzdem hast du keinen Deutsch Pass. Warum?

Mia: Meine Eltern sind damals während des Jugoslawienkriegs hierher gekommen. Sie waren nicht als Flüchtlinge gemeldet, sind aber vor dem Krieg geflohen. Es war für sie sehr schwierig, eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Mein Vater konnte über meine Mutter, weil sie lange vor dem Krieg schon in München als Gastarbeiterin gearbeitet hatte, eine Aufenthaltsgenehmigung für unsere Familie bekommen.

Aber als ich geboren wurde, war nicht klar, ob wir unsere Kindheit in Deutschland verbringen würden. Wir waren da noch in einem Prozess.

Paulus: Wir war denn deine Kindheit? Wie bist du aufgewachsen?

Mia: Ich bin ganz normal aufgewachsen. Ich hatte in der Grundschule mit der deutschen Sprache ein paar Probleme. Deshalb war ich für ein Jahr lang in einer Förderklasse für die deutsche Sprache. Aber sonst hatte ich in meiner Kindheit nicht gemerkt, dass da ein großer Unterschied wäre. Das kam erst später.

Paulus: Das heißt, du hattest auch Freunde, die aus Deutschland kamen, und hast eine normale Kindheit in der Schule verbracht?

Mia: Genau. Dort, wo ich gewohnt habe, waren viele Familien, die auch aus dem Ausland kamen und wie wir Ausländer waren. Dementsprechend hatte ich nicht so viele deutsche Freunde, aber die hatte ich auch zum Beispiel in meiner Klasse und mit ihnen bin ich ganz normal aufgewachsen.

Wenn der Aufenthalt keine Selbstverständlichkeit ist

Paulus: Wann hast du das erste Mal gemerkt, dass es wirklich einen Unterschied gibt, der dir Probleme bereiten kann?

Mia: Als ich zum ersten Mal die Bedeutung unserer Aufenthaltsgenehmigung wahrgenommen habe und ich mitbekommen habe, wie meine Eltern mit den Pässen umgehen und wie das andere machen.

Ich habe Freunde, die erzählt haben, dass sie ihren Pass verschlampt haben. Wir bewahren die Pässe in unserem Schrank ganz oben auf. Da wird auch regelmäßig nachgezählt, ob alle da sind. Weil das so ein Kampf war, die Aufenthaltsgenehmigung für diese Pässe zu bekommen, dass sie schon fast so was wie heilig sind.

Das habe ich recht früh gemerkt, dass das schon ein Riesenunterschied war. Dass ich auch gar nicht verstehen konnte, dass jemand seinen Pass verschlampen konnte.

"Die Pässe sind fast schon so was wie heilig."
Mia Goranovic musste mit der ganzen Familie den Aufenthalt beantragen

Paulus: Weil ihr den auch immer mal wieder vorzeigen musstet?

Mia: Ja, wir mussten regelmäßig die Aufenthaltsgenehmigung verlängern. Ich war 14 Jahre alt, als wir die unbefristete Aufenthaltsgenehmigung bekamen. Danach mussten wir nicht mehr regelmäßig zum Landratsamt, um unsere Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern.

Bis dahin war der Pass alle paar Monate Thema: Wir mussten dahin, hatten einen Termin, alle mussten dabei sein für die Verlängerung und ich habe Stunden in diesen Wartezimmern verbracht. Daran habe ich zum erste Mal gemerkt, dass es einen Unterschied gibt, weil es die anderen eben nicht machen mussten.

Paulus: Wann hast du denn Nachteile im Vergleich zu uns Deutschen wahrgenommen?

Mia: Ich musste zwar noch kein Visum für einen Auslandsaufenthalte beantragen, aber ich weiß schon immer, dass ich, falls ich mal irgendwohin verreisen möchte, mit dem bosnischen Pass für alle möglichen Länder ein Visum brauche. Auch dass es für mich mit dem bosnischen Pass viel schwieriger ist, ein Visum zu bekommen. Für mich wurde es zum Problem, als ich selber einmal in Portugal arbeiten wollte.

Keine Arbeitserlaubnis wegen bosnischem Pass

Paulus: Was wolltest du da machen?

Mia: Nach meiner Ausbildung zur Speditionskauffrau habe ich ein Jahr in meinem Beruf gearbeitet und habe dann gemerkt, dass ich etwas anderes machen möchte. Ich habe mich für die Designschule interessiert. Für die Aufnahme an der Designschule muss man eine Mappe abgeben und einen Test machen. Ich hatte mir überlegt, dass ich, falls es mit der Designschule nichts wird, nach Portugal gehe.

Ich war einmal in Lissabon und habe mich verliebt in Portugal. Ich habe mich bei einem Callcenter beworben, das mir ein Wohnung gestellt hätte, ich wäre einfach nur hingefahren und hätte dort ein Jahr gearbeitet. Das war mein Plan.

Ich hatte mich beworben und recht schnell eine Antwort per Mail bekommen, dass alles super wäre und sie mich für ein Vorstellungsgespräch anrufen wollen. Wir haben dann telefoniert, alles lief gut, ich habe auch auf Englisch geantwortet, und eine der letzten Fragen ging dann um den deutschen Pass.

Als ich gesagt habe, dass ich keinen deutschen, sondern den bosnischen Pass habe, habe ich eine Absage bekommen. Es würde ihnen leid tun, aber ohne deutschen Pass könnten sie mir die Stelle nicht geben wegen den strengen portugiesischen Gesetzen und weil Bosnien nicht in der EU ist.

"Ich war einmal in Lissabon und habe mich verliebt in Portugal."
Mia würde gerne in Portugal arbeiten

Paulus: Das heißt dann aber auch, dass ein Traum zerplatzt ist?

Mia: Ich wollte schon immer mal in einem anderen Land leben, weil ich es schön finde. Ich bin so aufgewachsen, dass es diese Freiheit gibt. Auch in meiner Klasse wollten das viele meiner Mitschüler, mal ins Ausland gehen und Erfahrungen machen. Klar, wollte ich das auch. Das ist dann schon echt hart, wenn man eigentlich die Chance gehabt hätte, im Ausland zu arbeiten, aber es nur wegen dem Pass nicht geht. Das ist schon eine Enttäuschung.

Paulus: War das dann der Punkt, an dem du dir gedacht hast, ich möchte Deutsche werden, einen deutschen Pass haben und damit auch Bürgerin der EU werden?

Freiheit, sich auszuprobieren

Mia: Ich hänge nicht an dem bosnischen Pass, weil er für mich Identität bedeutet. Für mich ist es eine Abwägung von Vor- und Nachteilen. Ich habe jetzt Anfang 20 gemerkt: Hey, ich würde gerne einmal etwas ausprobieren und ich sollte das so früh wie möglich machen.

Paulus: Wie läuft das ab mit der Einbürgerung?

Mia: Das ist so eine Sache. Ich hatte vor zwei Wochen mein Erstgespräch beim Landratsamt. Da habe ich eine ellenlange Liste bekommen mit Dingen, die ich alle vorlegen muss. Das Recht auf die deutsche Staatsbürgerschaft ist in meinem Fall nur eine Formalität, da ich hier geboren und zur Schule gegangen bin.

Aber es ist ein sehr langer Prozess mit sehr vielen Dokumenten, die ich besorgen, aus Bosnien holen, übersetzen und beglaubigen lassen muss. Meine Schwester hat erst vor Kurzem ihren deutschen Pass bekommen, das hat alles zusammen über ein Jahr gedauert und etwas mehr als 1000 Euro gekostet.

"Europa ist für mich nicht EU"

Paulus: Was ist für dich Europa?

Mia: Europa ist für mich nicht EU. Um mich herum reden alle über die EU und die Wahlen und alles wird in einen Topf geschmissen, als ob EU Europa sei. Für mich sind das zwei verschiedene Dinge, weil es noch immer viele Länder gibt, die nicht in der EU sind.

Das merkt man, wenn man aus einem Nicht-EU-Land kommt und die Vorteile, die die EU bietet, nicht hat. Wenn ich jetzt den deutschen Pass hätte, dann würde ich mich auch zu diesem Club zugehörig fühlen und auch diese Vorteile genießen. Aber ich sehe Europa und EU nicht als eins, weil Bosnien nicht in der EU ist.

Paulus: Würdest du dir denn wünschen, dass sich das ändert?

Mia: Auf jeden Fall, weil es eben nur Vorteile durch die Gemeinschaft gibt. Bosnien ist noch vom Krieg gezeichnet. Das würde Bosnien auch helfen, wieder auf die Beine zu kommen, und dass es vorwärts geht, weil die Menschen dort auch sehr unglücklich sind und eigentlich aus dem Land eher fliehen in die EU-Länder wie nach Deutschland. Ich glaube, wenn Bosnien in der EU wäre, würde das dem Land helfen.

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Shownotes
Mia Goranovic
"Europa ist für mich nicht gleich EU"
vom 17. Mai 2019
Moderator: 
Paulus Müller
Gesprächspartnerin: 
Mia Goranovic