Fast 4000 Kilometer lang sind die deutschen Außengrenzen. Die Bundespolizei soll dort mehr kontrollieren und abweisen – Bundesinnenminister Dobrindt möchte damit ein deutliches Signal nach Europa und in die Welt senden, dass sich die Politik in Deutschland geändert hat.
Volker Dobrindt will eine mündliche Weisung von 2015 zurücknehmen, laut der Asylsuchende an der Grenze nicht abgewiesen werden durften. Nun könnten laut nationalem Recht wieder Zurückweisungen erfolgen – obwohl EU-Recht vorschreibt, Schutzsuchende zunächst aufzunehmen, so Katharina Hamberger aus unserem Hauptstadtstudio.
EU-Recht überlagert Deutsches Recht
Strengere Grenzkontrollen gab es bereits unter Ex-Innenministerin Nancy Faeser. Der Unterschied jetzt: Die Kontrollen sollen weiter verschärft werden – rund 3000 zusätzliche Bundespolizisten sollen an die Grenzen kommen.
"Dann ist die Gefahr groß, dass man da die Leute einfach ständig hin- und herschiebt. Das wäre höchstproblematisch."
Dobrindt möchte an deutschen Grenzen auch Asylbewerber zurückweisen – mit Ausnahmen: Kinder, Schwangere und kranke Menschen, also vulnerable Gruppen. Schon vorher wurden Personen mit Wiedereinreisesperre, ohne Visum oder ohne Asylantrag abgewiesen.
Was mit abgewiesenen Menschen an der Grenze passiert, ist derzeit aber unklar. Während Rückführungen bei Personen mit Wiedereinreisesperre mit Nachbarstaaten abgestimmt sind, fehlt für Asylsuchende noch eine Regelung. Ohne Einigung droht ein problematisches Hin-und-Herschieben an den Grenzen
Für Zurückweisungen ist die Bundespolizei zuständig
Die Umsetzung der neuen Regelungen an den Grenzen übernimmt die Bundespolizei. Verantwortlich ist dabei auch Martin Meisen, Bundespolizist und Vertreter der Polizeigewerkschaft – er ist Ansprechpartner für die Einsatzkräfte am Flughafen München.
In Bayern ist die Lage derzeit unter Kontrolle, sagt er. Der Migrationsdruck sei aktuell nicht so hoch, auch weil die Asylantragszahlen von 2023 auf 2024 gesunken sind. Zudem hätten die seit einem Jahr laufenden Maßnahmen bereits Wirkung gezeigt.
Bisher laufe es an den Grenzen so: Kommt eine Person an die Grenze und beantragt Asyl, nimmt die Bundespolizei das Gesuch auf. Je nach Dokumentenlage erfolgt eine Erstbefragung und die nötigen Verwaltungsschritte. Dann wird ein Bericht ans Bundesamt für Migration und Flüchtlinge weitergeleitet, das über das Asylverfahren entscheidet, so der Beamte.
Der Polizei fehlen klare Vorgaben
Martin Meisen zufolge fehlen derzeit noch konkrete Vorgaben zur Umsetzung der angekündigten Zurückweisungen. Unklar sei vor allem, welche Personengruppen genau betroffen sind und wie die Übergabe bei Zurückweisungen – etwa an Österreich – praktisch ablaufen soll. Wichtig sei, dass Asylanträge auch weiterhin ordentlich bearbeitet werden und Menschen nicht einfach hin- und hergeschoben werden.
"Sagen wir an der Grenze einfach, Einreise nicht gestattet?"
Die Bundespolizei müsse nach Dobrindts Vorhaben vor allem personell aufstocken. Bereits vorhandenes Personal in Grenzinspektionen wird intensiver eingesetzt, Dienste könnten auf bis zu zwölf Stunden verlängert werden, so der Beamte. Zusätzlich werden Einheiten der Bereitschaftspolizei eingebunden, um die Grenzkontrollen zu verstärken und möglicherweise auch auf weitere Verkehrswege auszuweiten.
Polizei: Situation langfristig nicht tragbar
Meisen betont, dass Zwölf-Stunden-Schichten zwar bereits praktiziert werden, aber nur mit entsprechend längeren Ruhezeiten funktionieren. Werden diese verkürzt, entstehen zwangsläufig Überstunden – und das sei für die Bundespolizei nur kurzfristig tragbar. Langfristig brauche es strukturell andere Lösungen.
Die zusätzlichen Einsatzkräfte für die Grenzkontrollen kommen größtenteils aus der Bundesbereitschaftspolizei, erklärt Meisen. Dienststellen mit bahnpolizeilichen Aufgaben blieben zwar zunächst unangetastet, erhalten aber keine zusätzliche Unterstützung mehr. Aufgaben wie Gewaltprävention im Bahnverkehr oder Einsätze bei Fußballspielen werden daher vorerst zurückgestellt, um den Fokus auf die Grenze zu legen.
Kurzfristigkeit der Entscheidung ein Problem
Auf die Frage, wo mehr Kontrollen nötig wären, antwortet Martin Meisen: Einerseits sollten die bestehenden Grenzkontrollen intensiviert werden. Andererseits müsse die Schleierfahndung ausgeweitet werden, um auch abseits der festen Kontrollpunkte Schleuser zu erfassen, die auf weniger überwachte Routen ausweichen.
"Was uns ein Stück weit auf die Füße fällt: Von Knall auf Fall zu sagen, wir fahren jetzt die Kräfte hoch."
Eine Intensivierung von Grenzkontrollen sei für die Polizei ansonsten nichts Ungewöhnliches – sie wurde etwa beim G7-Gipfel, der Europameisterschaft oder während Corona bereits praktiziert. Problematisch sei jedoch die aktuelle Kurzfristigkeit: Von heute auf morgen Personal aufzustocken, ohne zu wissen, wie lange der Einsatz dauert, stelle die Polizei vor große Herausforderungen.
Artikel 72 könnte EU-Recht aushebeln
Nach Dobrindts neuer Regelung dürfen Schutzsuchende an der Grenze keinen Asylantrag mehr stellen, sondern werden zurückgewiesen. Laut EU-Recht hätten sie dazu eigentlich ein Recht – wer aber nicht einreisen darf, kann auch keinen Antrag stellen. Das widerspricht der sogenannten Dublin-Verordnung, so unsere Korrespondentin.
"Wenn man gar nicht erst einreist, sondern zurückgewiesen wird, dann kann man auch keinen Asylantrag in Deutschland stellen."
Viele Experten halten Dobrindts Vorhaben für rechtlich problematisch und befürchten einen Verstoß gegen EU-Recht. SPD und Grüne sehen es als Rechtsbruch, unterstützen den Kurs aber, wenn er mit Nachbarstaaten abgestimmt wird. Einige Juristen berufen sich auf Artikel 72 des EU-Vertrags, der bei Gefährdung der inneren Sicherheit solche Maßnahmen erlaubt.
Der Europäische Gerichtshof hat bisher keine Begründung für den Einsatz des Ausnahmeartikels anerkannt. Viel hängt von der Reaktion der Nachbarstaaten ab: Die Schweiz prüft eigene Maßnahmen, Polen lehnt das Vorgehen ab, und von Österreich gibt es noch keine klare Haltung. Ohne Abstimmung drohen rechtliche Konflikte und Klagen.
Kein gutes Bild: Zeltende Migranten an der Grenze
Im Koalitionsvertrag steht, dass Maßnahmen an den Grenzen mit Nachbarstaaten abgestimmt werden sollen. Die Union versteht darunter eine Information, die SPD fordert echte Zustimmung. Ohne klare Absprachen könnten zurückgewiesene Menschen nach Deutschland zurückgebracht werden – Szenen wie Zeltlager an der Grenze will die Bundesregierung unbedingt vermeiden.
Dobrindt begründet die Maßnahmen mit einer Überlastung Deutschlands. Tatsächlich sind die Asylantragszahlen zuletzt deutlich gesunken. Der neue Innenminister verweist jedoch auf die hohe Zahl bereits aufgenommener Schutzsuchender – viele Kommunen seien dadurch am Limit und könnten kaum weitere Menschen aufnehmen.
"Der Artikel 72 hieße, die Leute würden auf der Straße campen und es würden ganz schlimme Zustände sein. Das ist es ja de facto nicht."
Es gibt Gutachten zum Artikel 72 des EU-Vertrags. Die innere Sicherheit und öffentliche Ordnung müssten potenziell gefährdet sein. Diese Argumentation stellt jedoch eine hohe Hürde dar – extreme Zustände wie Obdachlosigkeit wären notwendig. Die Begründung für die Anwendung des Artikels ist noch nicht bekannt und muss rechtlich geprüft werden.
Fakt ist: In ihrer Rhetorik verfolgt die neue Bundesregierung eine deutlich härtere Migrationspolitik. Sie betont, dass man stärker auf Abschottung und Abschreckung setzen will, um die Immigration zu begrenzen, so unsere Korrespondentin.
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