Milorad Dodik, der Präsident der teilautonomen Republika Srpska, fordert eine eigene Armee. Die Journalistin Melina Borčak sieht darin eine existenzielle Bedrohung.

Seit dem Ende des Bosnienkrieges 1995 ist der Bundesstaat Bosnien-Herzegowina in halbautonome Teilrepubliken aufgeteilt:

  • Die Republika Srpska (mehrheitlich von bosnischen Serben bewohnt)
  • Die Föderation Bosnien und Herzegowina (mehrheitlich Bosniaken und Kroaten)
  • Der kleine Distrikt Brčko als Sonderverwaltungsgebiet

Jeder Teil hat eine eigene Regierung und ein Parlament, zugleich gibt es eine gemeinsame serbisch-kroatisch-bosnische Zentralregierung. Die politische Situation im Land gilt als schwierig.

Nun wird die Lage noch angespannter, denn der Vertreter der bosnischen Serben in der Zentralregierung, Milorad Dodik, bringt eine Abspaltung und eine Unabhängigkeit der Republika Srpska ins Spiel. Konkret fordert er im ersten Schritt eine eigene Armee.

"Diese Armee hat den Genozid verübt"

Darüber, was das für das Land Bosnien-Herzegowina und die ganze Region bedeuten könnte, hat Deutschlandfunk-Nova-Moderator Till Haase mit Melina Borčak gesprochen. Sie ist Journalistin und Filmemacherin und schreibt über sich selbst: "Während des Genozids gegen Bosniaken bin ich als Flüchtling im gemütlichsten Container Deutschlands aufgewachsen. Bis ich 'zurück' in ein Land musste, das ich gar nicht kannte – Bosnien."

Till Haase: Melina, ist das ein Problem, wenn der serbische Teil von Bosnien-Herzegowina eine eigene Armee hätte?

Melina Borčak: Dieser sogenannte serbische Teil Bosniens ist ja nur deshalb serbisch, weil dort alle Nicht-Serben ermordet oder vertrieben wurden. Es ist keine historisch serbisch dominierte Region.

Das Problem mit der Wiederauferstehung der Armee ist, dass das ja genau die Armee ist, die den Genozid verübt hat. Laut den Vereinten Nationen wurden mehr als 95 Prozent aller schweren Kriegsverbrechen von der serbischen Seite verübt, vier Prozent von der kroatischen und ein Prozent von allen anderen zusammengerechnet. Wenn diese Armee zurückkommt, ist das so, wie wenn in Ruanda die Interahamwe oder in Deutschland die SS wiederauferstehen lassen würde. Das ist eine existenzielle Gefahr für die Menschen, die dort leben.

Außerdem will Milorad Dodik ja nicht nur die Armee abtrennen, sondern auch mehr als einhundert Gesetze und Gesetzesänderungen verabschieden, mit denen er sich vom Steuersystem, vom juristischen System und von allen Strukturen Bosnien-Herzegowinas lösen will.

Was ist Milorad Dodik für ein Mensch?

Dodik ist ein Nationalist, ein Genozid-Leugner, ein Separatist. Er fällt immer wieder auf durch extrem rassistische Aussagen. Er produziert Krisen. Und anstatt ihn zu sanktionieren, gibt ihm die EU ein Teil von dem, was er fordert.

Wie wahrscheinlich ist es, dass das ganze eskaliert und dass ein bewaffneter Konflikt in Bosnien-Herzegowina entsteht?

Es könnte passieren, dass eine neue Armee anfängt, unilateral Menschen zu ermorden. Diesmal gibt es aber eine Armee Bosniens. Die müsste dann reagieren. Es liegt nur an Dodik, ob er seine Forderungen mit Gewalt durchsetzen will, was – wie er sagt – der Fall ist.

Du lebst in Berlin, bekommt aber wahrscheinlich trotzdem was mit aus Bosnien-Herzegowina. Haben die Menschen im Land Angst vor einem neuen Bürgerkrieg?

Ja, viele Menschen haben Angst. Sie fragen sich, ob sie wohl flüchten sollten. Bosnien ist schon seit fast 20 Jahren in seinem Angstzustand. Aber jetzt ist es schlimmer. Es ist die schlimmste Krise seit der Unabhängigkeit.

Zum Begriff Bürgerkrieg: In deutschen Medien wird das fälschlicherweise oft als Bürgerkrieg gesehen. Bosnien war ja schon unabhängig und von der UN anerkannt, als es von Milosevics Serbien und Kroatien angegriffen wurde. Das wurde von Gerichten so auch bestätigt.

Ein Problem heute ist, dass Kroatien und Serbien sich immer noch einmischen in bosnische Verhältnisse und dass Dodik die Unterstützung von Serbien und von Russland hat.

Das Bild zeigt Zerstörungen nach dem Bosnienkrieg in der Stadt Sarajevo.

Shownotes
Eigene Armee der Republika Srpska
Bosnien-Herzegowina erlebt die "schlimmste Krise seit der Unabhängigkeit"
vom 04. November 2021
Moderator: 
Till Haase
Gesprächspartnerin: 
Melina Borčak, Journalistin und Filmemacherin