Zahnseide benutzen – ja oder nein? Da scheiden sich die Geister. Die einen verwenden sie penibel, andere lassen sie weg – auch weil sie es einfach vergessen. Vielleicht ist das aber auch gar nicht schlimm. Denn zwingend nötig ist sie nicht immer, hat uns ein Zahnarzt verraten.
Mundhygiene ist wichtig. Deshalb putzen wir uns im besten Fall mehrmals am Tag die Zähne, nehmen auch noch Mundspülung – und natürlich Zahnseide. Das wird spätestens bei jeder professionellen Zahnreinigung empfohlen. Viele hinterfragen das auch gar nicht. Vielleicht sollten wir das aber mal. Denn Mundhygiene ist vor allem eines: sehr individuell. Das meint zumindest der Zahnarzt Stefan Fickl. Er sagt: Dass Zahnseide vor kranken Zähnen schützt, ist nicht bewiesen.
"Bis heute gibt es gar keinen einzigen wissenschaftlichen Beweis, dass Zahnseide irgendeinen Effekt hat auf die zwei großen Erkrankungen im Mund: das eine ist Zahnkaries und das andere ist Parodontose."
Stefan Fickl hat das Buch "Auf den Zahn gefühlt" geschrieben. Darin geht es um unser Gebiss und wie wir es so gut wie möglich pflegen können. In den allermeisten Fällen brauchen wir dafür keine Zahnseide, so Fickl – aus verschiedenen Gründen.
Viele benutzen Zahnseide nicht richtig
Es ist gar nicht so einfach, die Zahnseide richtig anzuwenden, erklärt der Zahnarzt: "Es gibt sogar eine wirklich tolle Studie von der Uni Witten-Herdecke, die hat gezeigt, dass Zahnseide nur dann wirklich einen Effekt hat, wenn wirklich jeden Abend ein Profi vom Zahnarzt kommt und sie bei Ihnen anwendet." In den allermeisten alltäglichen Badezimmer-Situationen sei das nicht der Fall.
Fluorid in Zahnpasta wichtiger als Zahnseide
Der zweite Grund, warum die meisten auf Zahnseide verzichten können: Es gibt einen besseren Schutz vor Karies – und zwar das Fluorid in der Zahnpasta, sagt Stefan Fickl. "Wir wissen, dass Fluorid extrem potent ist und extrem gut gegen Zahnkaries wirkt." Auf Zahnseide könne man beim Verwenden einer Fluorid-Zahnpasta quasi verzichten, sagt Fickl. "Andersrum gesagt: Wenn man eine Zahncreme ohne Fluorid verwendet, dann sollte man natürlich schon Zahnseide nehmen."
"Wenn man eine normale handelsübliche Zahnpasta mit Fluorid verwendet, dann kann man eigentlich auf Zahnseide verzichten."
Aber warum beharren dann viele Zahnärzt*innen trotzdem darauf, Zahnseide zu benutzen? Stefan Fickl erklärt das so: "Die Zahnmedizin war bis vor zehn, zwanzig Jahren ein wahnsinnig mechanistisches Gebiet. Man kennt es vielleicht, wenn man mal beim Zahnarzt war. Der hat gesagt: Jetzt hab ich da eine Füllung gemacht und die passt ganz genau. Und dafür wurde dann manchmal sogar einiges am gesunden Zahn weggeschliffen, damit die Füllung perfekt sitzt."
Wichtig: Lebensgewohnheiten in der Zahnarztpraxis besprechen
Inzwischen hat sich Stefan Fickl zufolge aber einiges getan. Am Ende kommt es bei der Zahnpflege nämlich nicht nur auf das richtige Putzen an, sondern auf ganz individuelle Faktoren. Deshalb sollten Zahnärzt*innen bei der Behandlung auch die richtigen Fragen stellen: Dazu gehört etwa, was die Patient*innen trinken, essen und wie die Mundflora aussieht.
"Einen Profisportler, der den ganzen Tag hochkalorische Drinks zu sich nimmt, die teilweise sehr klebrig sind, müssen Sie komplett anders beraten, als jemanden, der den ganzen Tag nur Wasser trinkt und sich vielleicht von Gemüse ernährt."
Allein, wenn so ein Beratungsgespräch stattfindet, sei das ein sicheres Zeichen dafür, dass ihr in der Praxis gut beraten werdet. Unterm Strich findet Stefan Fickl, dass die Medizin – und dazu zählt auch die Zahnmedizin – noch individueller werden muss.