Der Streik an den Unikliniken in Nordrhein-Westfalen war der bisher längste im Gesundheitswesen in NRW. Die Pflegekräfte konnten den Tarifvertrag Entlastung zwar für sich erkämpfen. Aktuell arbeiten sie aber wieder wie vorher – auf chronisch unterbesetzten Stationen. Pflegerin Lisa Schlagheck erklärt, was das bedeutet.
Pflegerin Lisa Schlagheck ist eine von tausenden nicht-ärztlichen Mitarbeitenden, die monatelang an den sechs Unikliniken in Nordrhein-Westfalen gestreikt haben. 79 Tage, also etwa 16 Arbeitswochen, hat Lisa Schlagheck für den Tarifvertrag Entlastung ausgeharrt. Am Ende haben sich die Streikenden dann durchgesetzt.
Sie sollen in Zukunft unter besseren Bedingungen arbeiten. Das bedeutet: Es kommt mehr Personal. Sollte die Arbeitslast zu hoch sein, muss sie wieder ausgeglichen werden, damit die Beschäftigten nicht regelmäßig an ihre Grenzen kommen.
Im Gespräch mit Deutschlandfunk-Nova-Moderator Markus Dichmann erklärt Lisa Schlagheck, welchen Einfluss der Tarifvertrag aktuell auf ihre Arbeit im Uniklinikum Münster hat, was sie jetzt von der Politik fordert und wie sie und ihre Kolleg*innen auf den nächsten Corona-Winter blicken.
"Wir haben sehr viel gelernt und am Ende gesiegt"
Markus Dichmann: Lisa, wie war das für dich, 79 Tage lang zu streiken?
Lisa Schlagheck: Das war sehr anstrengend. Es war aber auch sehr wertvoll. Wir haben sehr viel gelernt und am Ende gesiegt, also war es das wert.
Hat euch der Tarifvertrag tatsächlich entlastet?
Noch nicht. Das ist leider ein sehr großes Unterfangen. Im Tarifvertrag wurde auch eine Einführungsfrist festgelegt, die in anderthalb Jahren greift. Dann sind wir quasi auf dem Hoch der Entlastung, wo also wirklich alle Personalvorgaben umgesetzt werden müssen und wir auch Entlastung erfahren, wenn wir unterbesetzt arbeiten.
Das heißt: noch warten wir. Aber im Hintergrund laufen jetzt die Mühlen und es geht an die Umsetzung.
Was heißt das für deine aktuelle Arbeitssituation?
Da hat sich leider noch nichts verändert. Wir arbeiten regelmäßig unterbesetzt. Der Pflegemangel ist in allen Krankenhäusern spürbar und natürlich auch weiterhin in den sechs Unikliniken. Dort haben wir jetzt aber zumindest die Hoffnung und Aussicht auf Verbesserung – was bei anderen Krankenhäusern leider nicht der Fall ist.
Wir werden in anderthalb Jahren mehr Personal haben. Wenn wir das nicht haben, werden wir entlastet. Derzeit müssen wir weiter mit dem Personal klarkommen, das wir haben. Unser Krankenhaus, das Uniklinikum Münster, versucht uns ein bisschen zu entlasten, indem es Betten sperrt und versucht, die Patientenströme zu minimieren. Gewisse Notfälle müssen natürlich aber immer versorgt werden. Gerade bei mir in der Notaufnahme gibt es kein Gegensteuern – da muss das erledigt werden, was anfällt.
Du sprichst von Bettenanzahl minimieren und Patientenströme steuern. Kannst du erklären, was das für mich zum Beispiel bedeutet, wenn ich mir etwas gebrochen habe und in die Notaufnahme komme? Ich werde wahrscheinlich sehr lange warten müssen, oder?
Genau, da hat sich nichts geändert, weil wir immer noch zu wenige sind. Du wirst warten müssen, aber als Notfall natürlich versorgt werden. Das ist immer unsere Priorität im Krankenhaus. Da geht es keinem Krankenhaus anders. Patienten, die aber zum Beispiel planbare OPs haben, die kein dringender Notfall sind, die werden jetzt vielleicht etwas warten müssen.
Das ist aber eine Besonderheit an unserer Klinik, weil unsere Klinik uns im Vorfeld unterstützen und entlasten möchte. Sie sieht, wie sehr wir am Limit sind und wie wenige Pflegekräfte wir nur noch sind. Nicht jede Klinik ist so kulant und geht auf ihre Mitarbeitenden zu – was sehr schade ist. Was auch nur dazu führt, dass noch mehr Leute in ein Burn-out getrieben werden oder den Job verlassen.
Du hast am Anfang gesagt, dass du den Tarifvertrag als Sieg empfindest. Hättest du dir nicht trotzdem doch etwas gewünscht, was kurzfristiger greift?
Total. Das war ein Punkt, bei dem wir nicht mehr haben verhandeln können. Wir verstehen natürlich auch, dass die sechs Unikliniken des Landes ein zu großes Unternehmen sind, als dass man das innerhalb von drei Tagen umsetzen kann.
Fakt ist auch, dass die Pflegekräfte auf dem Markt nicht verfügbar sind. Aktuell sind die Arbeitsbedingungen so unattraktiv und das Gehalt ist so niedrig, dass zu wenige Leute den Job machen wollen. Es gibt genug Pflegekräfte, aber es gibt zu wenige, die in diesem Job arbeiten wollen.
Das heißt: Jetzt liegt der Ball – wieder mal – im Feld der Politik. Es geht darum, etwas an den Grundbedingungen zu ändern. Wir haben jetzt etwas für uns in unserem kleinen Krankenhaus verbessert, was in den nächsten Jahren greift. Darauf sind wir auch sehr stolz. Aber aktuell und auch für ganz Deutschland betrachtet, ist die Politik immer noch am Zug.
Wir gehen jetzt auch auf Herbst und Winter zu und möglicherweise auch auf steigende Corona-Infektionszahlen und Grippewellen. Wie blickst du auf Herbst und Winter? Wie wird es für euch laufen?
Wir kennen das, es ist jedes Jahr das Gleiche und wir haben uns auch mittlerweile ein bisschen daran gewöhnt: Wir werden sehr hohe Patientenzahlen haben. Wir werden das irgendwie stemmen müssen – wie jedes Jahr. Und es wird wieder Pflegekräfte geben, die sagen: Ich habe keine Lust mehr, ich kann nicht mehr. Die Arbeit auf der Corona-Station macht mürbe: Wenn man jahrelang die gleichen Krankheitsbilder betreut und es nicht besser wird.
Hinzu kommt, dass die Politik einem nicht hilft, dass die Politik nicht sieht, was die Pflege leistet und eingreift. Es wird hier und da von einem Bonus gesprochen, den einzelne Leute bekommen, aber so richtig hat sich für uns leider noch nichts verbessert. Fakt ist, dass immer mehr Pflegekräfte – auch diesen Winter – die Reißleine ziehen werden. Da bin ich mir sehr sicher.