Sie haben die Wiedervereinigung nicht erlebt. Chris' und Bettinas Freuden-Gefühle zum Tag der Deutschen Einheit halten sich in Grenzen.

Die deutsche Einheit ist ein Termin geworden. Das bedeutet auch, dass eine ganze Generation junger Erwachsener in einem ungeteilten Land aufgewachsen ist. Wir haben mit Chris und Bettina darüber gesprochen, wie sie auf den Feiertag "30 Jahre deutsche Wiedervereinigung" blicken. Sie sind beide relativ kurz nach der Wende auf die Welt gekommen und halten zu dem feierlichen Ereignis einen recht großen emotionalen Abstand.

"Interessanterweise hat Wiedervereinigung eine geringere oder kleinere Rolle gespielt als einfach diese Ost-Zugehörigkeit der Eltern."
Chris, gebürtig aus Cottbus, Soziologiestudent

Chris kommt aus Cottbus. Er ist 26 Jahre alt und studiert in Dresden Soziologie. Im Rückblick denkt er zuerst an die Teilung und nicht an die Wiedervereinigung. Auch wenn es diese ganz großen Crashs, diese ganz großen negativen Umbrüche in seiner Familie glücklicherweise nicht gegeben habe. Allgemeiner sagt er, dass er zwar die Sicherheit einer klaren beruflichen Zukunft verloren, die Freiheit der Berufswahl aber gewonnen habe.

"Soziologie wurde in der Form nicht gelehrt. Ich hätte meinen jetzigen Berufswunsch überhaupt nicht verfolgen können."
Chris, gebürtig aus Cottbus, Soziologiestudent

Bettina kommt gebürtig aus Bielefeld. Sie ist 29 Jahre alt und arbeitet heute in Potsdam als Jugendbildungsreferentin des Landes Brandenburg. Ihr Thema ist die Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur.

Eine Kindheit ohne Teilung

Sie kennt die Wiedervereinigung als Geschichte von ihrer Mutter beispielsweise und ist selbst dann im Alter von neun Jahren in die USA umgezogen. Dort ist ihr erst bewusst geworden, dass sie aus einem Land kommt, das einmal aus zwei Teilen bestanden hat. Ein südkoreanischer Junge hat sie gefragt, aus welchem Teil Deutschlands sie kommt.

"In den Kindertagen spielte Wiedervereinigung oder überhaupt geteiltes Deutschland gar keine Rolle in meinem Leben."
Bettina, gebürtig aus Bielefeld, ist mit neun Jahren in die USA gezogen

Bettina sagt, dass für sie die DDR-Geschichte aus beruflichen Gründen wichtig ist, ihr die Wiedervereinigung als historisches Ereignis bewusst ist, allerdings für ihr persönliches Leben keine Bedeutung hat. Sie sagt: "Ich habe überhaupt keine emotionale Verbindung zu diesem Tag, weil mir nicht richtig klar ist, was wir feiern."

Bettina hat den Eindruck, dass jüngere Menschen, tendenziell weniger mit dem 3. Oktober verbinden als ihre Eltern oder Großeltern. Auch deswegen kann sie sich vorstellen am 3. Oktober Vielfalt zu feiern, noch besser fände sie es allerdings Demokratie zu feiern.

Shownotes
Nachwendekinder
Tag der Einheit: Fast dreißig und fast keine Feierlaune
vom 03. Oktober 2020
Moderatorin: 
Steffi Orbach
Gesprächspartner: 
Chris, geboren in Cottbus ,Soziologiestudent (26) und Bettina, geboren in Bielefeld, Bildungsreferentin (29)