Vitamine? Klingt gesund, her damit! Seit Jahrzehnten suggeriert uns die Vitamin-Lobby, dass wir Vitaminpräparate brauchen, um gesund zu bleiben. Fakt ist aber: Vitaminmangel ist hierzulande unbekannt.
Vitamine sind gesund. Der Mensch braucht sie. Und wenn wir Obst und Gemüse essen, ist das auch richtig. 20 Millionen Menschen in Deutschland nehmen zusätzlich noch Vitaminpräparate ein. Weil sie denken: Viel hilft viel. Aber selbst, wenn wir uns viel von Fastfood ernähren und Lebensmittel essen, die als ungesund gelten, nehmen wir trotzdem noch genug Vitamine zu uns.
Professor Peter Stehle vom Institut für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften der Uni Bonn sagt: "Bei dieser Vielfalt, bei der Qualität, die wir in Deutschland und auch in anderen europäischen Ländern haben, besteht im Prinzip kein Risiko für einen Mangel."
Die Tatsache, dass wir viel Geld für unnötige Vitaminpräparate ausgeben, hängt mit der PR zusammen, die seit den 1930er Jahren für diese Nahrungsergänzungsmittel gemacht wird.
"Die PR-Maßnahmen fingen tatsächlich schon um 1930 an, als die weltweit erste Vitamin-C-Produktion in der Schweiz startete. Medizinischer Stand war damals wie heute: In der Nahrung ist genug Vitamin C."
Die PR-Unternehmen der Vitamin-Lobby tarnen sich hinter wohlklingenden Namen wie "Gesellschaft für Ernährungsforschung", die einen wissenschaftlichen Ansatz vermuten lassen. Und sie wirken nach außen hin wie unabhängige Fachgesellschaften, wie wir sie aus der Medizin kennen. Die PR-Artikel, die in Magazinen platziert werden, vermitteln unterschwellig und subtil den Eindruck, dass wir die Präparate benötigen, mit denen Milliardenumsätze gemacht werden.
"Jeder halbwegs normal essende Mitteleuropäer, und damit meine ich ausdrücklich auch die Fast-Food-Junkies, bekommt über die Nahrung genug Vitamine. Vitaminmangel ist hierzulande so gut wie unbekannt."
Zumeist sind die Behauptungen nicht falsch, die in Artikeln über Vitamine verbreitet werden. Aber oft ist es auch nur die halbe Wahrheit, weil eine mögliche negative Wirkung verschwiegen wird. Denn nicht für jeden sind Vitaminpräparate geeignet, und auch eine Überdosierung ist nicht ausgeschlossen.
Vitamine können auch schaden
Eine Pressemitteilung nimmt darauf Bezug, dass in Deutschland die Zahl der Raucher aktuell steigt. Und dass Raucher laut Studien oft einen Mangel an Vitalstoffen hätten, also auch Vitaminen.
Das Problem: Es gab schon mehrere Studien, die belegen, dass bestimmte Vitamine, die zusätzlich genommen werden, gerade für Raucher gefährlich sein könnte. Vitamin E zum Beispiel. Denn das fördert offenbar das Wachstum von Krebszellen, falls die schon irgendwo im Körper vorhanden sind.
Auch viele andere Vitamine kann man überdosieren, zum Beispiel Vitamin A und D. Übelkeit, Sehstörungen und Ähnliches kann die Folge sein.
"Die Gesellschaft zur Information über Vitalstoffe und Ernährung, kurz GIVE, sieht im Netz sehr wissenschaftlich aus, im Vorstand sitzen aber nur Industrievertreter von den Pharmakonzernen Pfizer, DSM, Merck."
In erster Linie hilft es den Herstellern, wenn wir Vitamine einnehmen.
Es gibt auch Menschen, die aufgrund von Stoffwechselkrankheiten Nahrungsergänzungsmittel zu sich nehmen müssen. Die entsprechende Vitamine bekommen sie dann allerdings vom Arzt verordnet. Schwangeren wird ärztlich die Einnahme von Folsäure empfohlen. Eine wissenschaftliche Grundlage, dass gesunde Menschen in Deutschland ohne medizinische Auffälligkeiten neben der Nahrung zusätzlich Vitamin-Präparate zu sich nehmen sollten, gibt es aber nicht. Ob die zusätzliche Einnahme von Vitamin D sinnvoll ist oder nicht, ist umstritten.
* Letzter Absatz gegenüber der Ursprungsversion dieses Artikels geändert, 25.05., 14:57 Uhr
Update, 27.05.2016, 11:30 Uhr
Auf unserer Facebook-Seite haben wir Feedback zu diesem Thema von euch bekommen. Vielen Dank. Einige Fragen wurden öfter gestellt, auch Vorwürfe wurden gepostet, dass wir Falsches berichtet haben. Deshalb haben wir uns erneut mit unserem Reporter Thomas Liesen unterhalten und ihm um Antworten gebeten:
- Ein User zum Beispiel schreibt, Deutschland sei ein Vitamin-Mangelland. Er führt einen Artikel aus dem Ärzteblatt an, der belegen soll, dass es in Deutschland an Vitamin D mangelt und dass Vitamin D eine präventive Wirkung gegen Krebs haben soll.
Mittlerweile gibt es aber neuere Studien, etwa aus dem Jahr 2014, die diese Aussagen widerlegen. Es gibt zwar Menschen mit niedrigerem Vitamin-D-Spiegel im Blut, die bekommen aber nicht häufiger Krebs. Andersherum: Wenn sie bereits Krebs haben, dann kann Vitamin D unter Umstände helfen.
Öfter zu lesen ist auch, dass Vitamin D zum Beispiel gegen Osteoporose helfen kann. Studien haben aber ergeben: Das funktioniert nicht. Vitamin D hat auch hier keine präventive Wirkung.
Thomas Liesen rät: Wer sich Sorgen macht um seinen Vitamin-D-Haushalt, kann rausgehen. Selbst Winterlicht reicht da oft aus. Oder natürlich: Zum Arzt gehen, sich untersuchen lassen, Medikamente/Präparate verschreiben lassen - was etwas ganz anderes ist als sich auf Verdacht in der Apotheke oder in der Drogerie mal eben selbst mit Präparaten einzudecken.
- Dann wurden wir darauf hingewiesen, dass schwarze Menschen weniger Vitamin D bilden können.
Tatsächlich haben Menschen mit dunkler Hautfarbe einen niedrigeren Vitamin-D-Spiegel. Neue Studien zeigen aber: Das macht nichts, das ist kein "Mangel". Menschen mit dunkler Haut haben ein anderes Transportsystem für Vitamin D. Zusätzliches Vitamin D kommt daher nicht da an, wo es hin soll, in die Knochen zum Beispiel. Das Aufnahmesystem des Körpers kann einfach nicht so viel verarbeiten.
"Es ist viel komplexer als das einfache Schema 'Ich diagnostiziere was, werfe eine Pille ein und damit ist das Problem erledigt'."
- Auch die Frage, inwiefern Veganer einen Mangel an Vitamin B12 haben können, wurde gestellt.
Ja, Veganer können diesen Mangel aufweisen - da hilft aber zum Beispiel schon das Verzehren von Sauerkraut.
Jeder Veganer, der sich für diese Ernährungsform entschieden hat, weil er zum Beispiel die moderne Landwirtschaftsindustrie inklusive zweifelhafter Tierhaltebedingungen nicht unterstützen möchte, muss zudem wissen: Oft kommen Vitamin-Präparate von Unternehmen, die genau diese Industrie fördern. Das Unternehmen Bayer zum Beispiel ist ein Pharmakonzern und gleichzeitig ein Riese in der Produktion von Pflanzenschutzmitteln.
Explizit sei darauf hingewiesen, dass es ein Problem sein kann, wenn kleine Kinder streng vegan ernährt werden. Aber auch da, sagt Thomas Liesen, hilft der Arzt: Der diagnostiziert und verschreibt die entsprechenden Medikamente oder Nahrungsergänzungsmittel.
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