Bei Tönnies und Westfleisch war es im Sommer 2020 zu einer Anhäufung von Covid-19-Fällen gekommen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hatte das zum Anlass genommen, um endlich mit den teils katastrophalen Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie "aufzuräumen". Wir schauen, was sich seitdem getan hat.

"Organisierte Verantwortungslosigkeit" hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil im Sommer das System von Werkverträgen in der Fleischindustrie genannt. Firmen wie Tönnies, Westfleisch und Co. hatten die Menschen, die in ihren Fleischfabriken Schweine zerteilen, selten festangestellt. Die Menschen arbeiteten oft für Subunternehmer. Es gab Berichte, dass sie um ihren Lohn geprellt wurden. Viele sahen sich gezwungen, ein Bett in abbruchreifen und unhygienischen Häusern zu mieten.

Nachdem es bei mehreren Firmen der Fleischindustrie im Sommer zu massiven Corona-Fällen kam, wollte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil mit diesem System "aufräumen". Seit Januar sind Werkverträge tatsächlich verboten, die Fleischfirmen dürfen keine Subunternehmen mehr beauftragen, sondern müssen ihre Schlachter fest anstellen. Doch sind die Arbeitsbedingungen jetzt wirklich besser?

Catalin Mihai ist erschöpft und dennoch ziemlich aufgebracht. Gerade ist er von der Frühschicht in der Fleischfabrik von Tönnies nachhause gekommen, von vier Uhr früh bis eins am Mittag hat er am Schlachtband gestanden. Jetzt erzählt er am Telefon, wie sich die Arbeit in den letzten Wochen verändert hat.

"Es ist alles wie vorher: Wenn du Urlaub willst, bekommst du keinen, wenn du einen Tag frei nehmen willst, sagen die Vorarbeiter geht nicht, wenn du krank wirst, drohen sie dir, wenn du nicht kommst, wirst du rauschgeschmissen."
Catalin Mihai (Name geändert), Fleischarbeiter

Tönnies bestreitet das. Unternehmenssprecher André Vielstädte schreibt auf Anfrage.

"Alle Mitarbeiter haben einen deutschen Arbeitsvertrag im deutschen Sozialversicherungs- und Arbeitsrecht. Dazu gehört unter anderem die Arbeitszeiterfassung, Urlaubstage und Krankheitsschutz. Drohungen, Urlaubsverweigerung oder ähnliches akzeptieren wir gegenüber unseren Mitarbeitern nicht. Solche Behauptungen müssen gemeldet und geprüft werden, wofür es im Unternehmen, beim Betriebsrat oder beispielsweise der Ombudsstelle Anlaufpunkte gibt."

Der Arbeiter, Mihai heißt eigentlich anders, er will seinen wahren Namen hier nicht nennen – er will keinen Ärger. Fünf Jahre lang hat er für Subunternehmer als Schlachter bei Tönnies gearbeitet. Seit Dezember ist er bei der Firma fest angestellt, erzählt er.

"Die Arbeitsverträge sind genau wie die alten. Ich verdiene Mindestlohn 9,35 Euro. Wenn ich 200 Stunden pro Monat arbeite, bleiben vielleicht 1300 Euro übrig."
Catalin Mihai (Name geändert), Fleischarbeiter

Die Arbeitsbedingungen hätten sich seitdem nicht verbessert. Im Gegenteil, sagt der 25-Jährige. Auch weil Tönnies offenbar mit weniger Mitarbeitern auskommen muss.

"Es ist viel härter geworden, sie haben viel weniger Leute, aber genau so viel Arbeit. Die gleiche Menge Schweine. Das Schlachtband läuft fast genauso schnell wie immer. Die Chefs, die Vorarbeiter, sind genau dieselben, nur dass sie jetzt bei Tönnies arbeiten – solange die nicht gehen, ändert sich nichts."
Catalin Mihai (Name geändert), Fleischarbeiter

Stanimir Mihaylov bestätigt diese Eindrücke. Er ist Berater im Projekt "Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten" bei Arbeit und Leben NRW. Er hat sich in den letzten Wochen die neuen Verträge der Schlachter angeschaut.

"Manche haben keine Veränderung bemerkt, weil dieselben Vorarbeiter wieder da sind, mit denen sie unzufrieden waren. Die wurden aus den Subunternehmen auch übernommen. Und die oft erniedrigende Behandlung war wieder da. Die Beschäftigten haben immer noch Angst, sich zu beschweren, über Sachen, die sie stören. Manche waren auch unzufrieden, weil sie einen etwas niedrigeren Lohn bekommen haben als vorher."
Stanimir Mihaylov, Berater im Projekt "Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten"

Doch noch ist es etwas zu früh, um zu sehen, wie das neue Gesetz wirkt, sagt Mihaylov.

Kampf für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter

Inge Bultschnieder sieht das ähnlich. Die 48-Jährige lebt am Tönnies Standort Rheda-Wiedenbrück. Seit Jahren kämpft sie für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter. Mit ihrer "Interessengemeinschaft Werkfairträge" berät sie Rumänen und Bulgaren, die ihren Lohn nicht bekommen haben. Erst heute war ein rumänischer Schlachter bei ihr - sein Subunternehmer hatte ihm im letzten Jahr nicht alle Stunden bezahlt.

Diese Auswüchse des Werkvertragssystems dürften jetzt ein Ende haben, sagt sie.

"Ich glaube, es ist jetzt zu schwierig den Arbeiter nicht korrekt zu bezahlen – zu schwierig und zu riskant. Ich denke, dass es auch nicht mehr möglich ist, irgendwelche Stunden abzuziehen. Das wird sich keiner mehr erlauben können. Nun ist man ja dann endlich selbst in der Verantwortung."
Inge Bultschnieder, "Interessengemeinschaft Werkfairträge"

Inge Bultschnieder hat auch immer wieder die Wohnsituation der osteuropäischen Arbeiter kritisiert. Die Subunternehmer haben bisher auch daran verdient ihren Arbeitern Zimmer oder einzelne Betten in heruntergekommen Häusern zu vermieten. Teilweise für 200 Euro pro Person. Daran habe sich mit Blick auf gesamt NRW seit dem Sommer so gut wie nichts geändert, sagt sie.

"Die Leute leben wie vorher auch. Es sind immer noch gut 4-5 Frauen oder Männer auf 50 Quadratmeter. Schlimm ist, dass die keinen Rückzugsort haben - jetzt müssen sie sich mal vorstellen, sie schlafen immer mit einem oder drei weiteren Fremden in einem Raum. Nach allem was ich gesehen habe, hat sich daran nicht viel geändert."
Inge Bultschnieder, "Interessengemeinschaft Werkfairträge"

Andre Vielstädte, der Unternehmenssprecher von Tönnies, bestreitet das. Die Wohnungen seien bei Kontrollen nicht beanstandet worden. Jetzt kümmere sich das Unternehmen selbst um die Unterbringung der Arbeiter.

"Wir haben in den letzten zwei Monaten über 2000 Wohnplätze selber geschaffen. Haben Häuser gekauft, Häuser angemietet und sind mit Kommunen im Gespräch was Neubauten angeht."
Andre Vielstädte, Unternehmenssprecher von Tönnies

6000 Arbeiter hat Tönnies inzwischen fest angestellt – aber vorher haben 20 Prozent mehr Menschen für die Firma gearbeitet. Das passt zu dem was Schlachtarbeiter Catalin Mihai sagt: Dass jetzt weniger Arbeiter die gleiche Menge Schweine schlachten müssen.

Catalin Mihai glaubt jedenfalls nicht so richtig daran, dass sich die Arbeitsbedingungen bei Tönnies verbessern werden. Er hat sich einen neuen Job besorgt.

"Nächsten Montag fange ich bei Amazon an. Da verdiene ich zwar auch nicht mehr Geld. Aber ich habe diesen Stress nicht mehr."
Catalin Mihai (Name geändert), Fleischarbeiter
Shownotes
Fleischindustrie
Neues Gesetz - Schlachtarbeiter weiter unzufrieden
vom 16. Januar 2021
Autor: 
Manni Götzke