Am 9. Juni 2004 ging in der Kölner Keupstraße eine Nagelbombe hoch. Es war ein Anschlag auf das türkische Leben in Köln. Erst später wurde klar, dass der NSU, der Nationalsozialistische Untergrund, hinter der Tat steckte. Doch zunächst waren es die Opfer selbst, die verdächtigt wurden. Nail Al Saidi hat die Keupstraße besucht und mit den Anwohnern gesprochen.

Entlang der Keupstraße, auf 400 Metern Länge, pulsiert türkisches Geschäftsleben: Cafés, Friseure, Juweliere, die besten orientalischen Restaurants. Schönstes südländisches Flair im Kölner Stadtteil Mülheim.

"Ich liebe die Keupstraße. Sie ist so bunt, so herzlich - aber so gekränkt."
Meral Sahin besitzt ein Deko-Geschäft auf der Keupstraße

Hier explodierte am 9. Juni 2004 eine Nagelbombe. 22 Menschen wurden damals verletzt, vier davon schwer. Erst später wurde klar, dass der Nationalsozialistische Untergrund, NSU, dahintersteckte. Dass Rechtsterroristen das türkische Leben Kölns im Herzen treffen wollten.

Viel zu schnell wurde ein rechtsextremistischer Hintergrund ausgeschlossen

Doch schon wenige Tage nach dem Attentat hatten die Behörden eine rechtsextreme Tat ausgeschlossen. Teils wurden Opfer als Täter verdächtigt. Wilde Spekulationen gingen um: Türken-Mafia, Familienfehde, ein Racheakt der Kurden. Die Anwohner und Geschäftsleute der Keupstraße hat das zermürbt. Die Nagelbombe und die fehlgeleiteten Ermittlungen haben vor allem eines zerstört: das Vertrauen, in Deutschland sicher und gerecht leben zu können.

"Auch wenn die körperlichen Wunden verheilt sind - die seelischen Verletzungen liegen tiefer."
Nail Al Saidi war für DRadio Wissen in der Keupstraße

Mitat Özdemir wohnt schon lange in der Keupstraße. 30 Jahre lang war er dort Geschäftsmann, heute ist er Rentner. Mit der Initiative "Keupstraße-ist-überall" unterstützen Özdemir und seine Mitstreiter die Opfer des Anschlags beim NSU-Prozess. So fahren sie zum Beispiel gemeinsam zum NSU-Prozess nach München.

Für Özdemir war nach dem Attentat in der Keupstraße Deutschland nicht mehr das gleiche Deutschland. "Vertrauen ist dadurch kaputt gegangen", sagt er. Vertrauen in Gesetze und Behörden, in die Gesellschaft.

Mitat Özdemir leicht im Profil, er trägt eine Brille und Schal über Hemd und Jacket; Bild: dpa
© dpa
Mitat Özdemir kennt die Keupstraße gut. 30 Jahre lang war er dort Geschäftsmann. Der Anschlag und die Zeit danach haben Vertauen zerstört, sagt Özdemir.

Am 9. Juni jährt sich das Nagelbomben-Attentat zum zehnten Mal. Und diesmal bekommt die Keupstraße Unterstützung aus der Kulturszene - nicht nur aus Köln. An Pfingsten gibt es ein großes, gemeinsames Kulturfest - mit deutschen und türkischen Künstlern. Birlikte - Zusammenstehen - heißt das Festival.

Den Auftakt macht das Theaterstück "Die Lücke". Es thematisiert die tiefe Wunde, die der Anschlag bei den Menschen hinterlassen hat. Der Dramaturg Thomas Laue interviewte für das Stück monatelang die Menschen in der Keupstraße. Er erfuhr, dass einige der Geschäftsleute die Nägel in den Wänden ließen, nur darüber tapezierten, um sich an das Attentat zu erinnern. Und auch, dass ein Helfer, der ein Knalltrauma erlitt, nicht zum Arzt ging, aus Angst in die Ermittlungen hineingezogen zu werden.

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Shownotes
NSU-Terror in Köln
Brutale Gewalt, verlorenes Vertrauen
vom 07. Juni 2014
Autor: 
Nail Al Saidi