Volle Züge, Stau oder zu späte Bahnen: Pendeln kann für manche Menschen lästig sein. Für andere ist es geschenkte Zeit. Im Homeoffice fällt der Weg zur Arbeit weg und damit auch eine Zeit, die ungebunden an einen Zweck ist, sagt Arbeitspsychologin Kristine Dahlhaus.
Etwa 13 Millionen Menschen pendeln in Deutschland täglich eine längere Strecke zu ihrem Arbeitsplatz, so die Bundesagentur für Arbeit. 30 bis 60 Minuten sind die meisten von ihnen dafür durchschnittlich unterwegs. Seit wir bedingt durch die Corona-Pandmie im Homeoffice arbeiten, fällt für viele ihre übliche Zeit im Zug, auf dem Rad oder im Auto weg.
Stress vs. Erholung
Die einen kann das fehlende Pendeln belasten, die anderen entlasten, sagt Arbeitspsychologin Kristine Dahlhaus. Letzteres gelte besonders für Menschen mit einem eng getakteten Arbeitsalltag. Verbinden sie den längeren Weg zur Arbeit mit Stress, könnte sie das Arbeiten im Homeoffice entlasten.
Andererseits kann die Zeit unterwegs auch als Zeit betrachtet werden, die losgelöst von einer Aufgabe beziehungsweise einem Zweck ist, so die Arbeitspsychologin. Zeit, die sich viele im Alltag nicht selbstständig nehmen.
Auszeit vom Alltag
Pendeln kann demnach auch Zeit für mich sein. Britische Forschende der Arbeits- und Organisationspsychologie an der University of Stirling haben mehr als 80 Pendlerinnen und Pendler befragt, ob sie die Zeit für den Arbeitsweg aktuell vermissen. Obwohl die meisten von ihnen die Zeitersparnis gutheißen, habe ungefähr die Hälfte von ihnen angegeben, sie würden das Pendeln durchaus vermissen, schreiben die Forschenden auf "The Conversation". Der Grund: Pendeln bedeutet "Me Time".
Pendeln als Zeitpuffer
Sara Engelbrecht geht es ähnlich. Vor der Corona-Pandmie hatte sie unter der Woche jeden Tag eine halbe Stunde im Zug für sich. Dort konnte sie frühstücken, einen Podcast hören und sich gedanklich auf ihre anstehenden Termine im Büro vorbereiten. Die Zugfahrt war für sie ein zeitlicher Puffer. "Ein bisschen, wie eine geschenkte Zeit", sagt sie. Im Homeoffice fällt das weg.
"Ich habe diese halbe Stunde Auszeit eigentlich immer genossen, weil ich zu Hause immer viel Trubel habe. Im Zug kann ich auch mal nur meine Gedanken schweifen lassen oder die Augen schließen."
Zuhause ist hingegen der Alltag. Hier fällt es ihr schwer, sich eine bestimmte Zeit zu nehmen, bevor sie am Schreibtisch sitzt. "Ich kann von meinem Frühstücksei quasi direkt fünf Minuten später in den ersten Termin gehen“, so Sara. Auch wenn sie gleichzeitig eine Zeitersparnis wahrnehme.
Muss sie für ihre Arbeit weiterhin auf das Homoffice ausweichen, möchte Sara die Zeit langfristig klar strukturieren bevor sie mit dem Arbeiten beginnt – zum Beispiel durch eine fest eingeplante 30-minütige Vorbereitungszeit.
Statt pendeln vorher draußen untewegs sein
Arbeitspsychologin Kristine Dahlhaus rät dazu, rauszugehen: Für eine halbe Stunde bis Stunde draußen beispielsweise auf einer Bank sitzen, Musik hören oder einfach die Gedanken schweifen lassen, idealerweise im Wald oder Park. Den Kopf erinnert dieser Spaziergang an den Weg zur Arbeit, erklärt sie. Sie empfiehlt, auch unabhängig vom Wetter eine Zeit vor und nach dem Arbeitstag fest einzuplanen.
"In den Beratungsgesprächen, die ich habe, spielt das Spazierengehen eine große Rolle. Das ist deshalb interessant, weil da eben auch dieser Wege-Moment drin ist: Ich bin draußen, ich begegne irgendwelchen Leuten."