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Perfektionismus kann uns weiterbringen, aber er kann auch Probleme verursachen. Long hat das erlebt. Eine Psychologin findet, dass sich unser Umgang mit Fehlern ändern sollte. Und wir haben Tipps, für alle, die unter ihren hohen Ansprüchen leiden.

Long Nguyen ist Videograf und dreht Filme. Dabei merkt er oft, wenn nicht alles haargenau läuft, wie er sich das vorstellt. Dann lässt er nicht los: "Bei der Durchführung merke ich dann, ich würde gerne noch einmal drehen und noch mal und noch mal." Er selber beschreibt sich als Perfektionist und ärgert sich auch manchmal darüber.

"Wenn da so ein kleines Ding ist, das mich ein bisschen nervt, dann will ich das eigentlich perfekt haben."
Long Nguyen, Fotograf und Videograf

Für Long ist klar, dieser Perfektionismus kommt nicht einfach irgendwo her, weil er es halt gerne schön hat. "Der Ursprung und die Motivation, weshalb ich perfektionistisch denke, sind tatsächlich so Ängste gewesen", sagt er und erzählt, dass das bereits in seiner Kindheit angefangen habe.

Perfektionismus und die Ängste der Kindheit

Long stammt aus Franken und die Familie habe sehr bescheiden gelebt. Es hat ihm und seinem Bruder an nichts gefehlt, aber es war eben auch nicht alles verfügbar, sagt Long: "Und spätestens wenn du dann als junges Kind aufs Gymnasium gehst, wirst du eigentlich schon mit der Realität konfrontiert. Weil gewisse Dinge, die für andere Kinder normal sind, sind für dich nicht greifbar, weil du nicht die Mittel hast oder deine Eltern nicht die Mittel haben." Zum Beispiel, wenn Wochenendausflüge geplant werden. Oder wenn die anderen sagen: 'Lass uns Fahrrad fahren!' – aber Long hatte kein Fahrrad.

Er sagt, der Perfektionismus habe ihm dabei geholfen, zuerst die Schule und später sein Technikstudium durchzuziehen, samt Master. Zu arbeiten, um Geld zu verdienen, um nie wieder an dem Punkt zu landen, wo er aufgewachsen ist. Heute kann er sich die Dinge leisten, die er als Kind nicht hatte. "Ich glaube, das ist der Ursprung, weshalb ich perfektionistisch denke, weil ich gewisse Ziele vor mir habe und schon versuche, die zu erreichen", sagt Long.

"Wir haben sehr viele Berufe, wo wir Perfektionismus wichtig finden."
Christine Altstötter-Gleich, Psychologin und Dozentin an der RPTU Kaiserslautern-Landau, forscht zu Perfektionismus

Christine Altstötter-Gleich ist Psychologin mit dem Spezialgebiet Differentielle Psychologie und Persönlichkeitspsychologie. Sie forscht zu Perfektionismus und sagt, Perfektionismus muss nicht unbedingt schlecht sein. Zum Beispiel gibt es viele Berufe, in denen wir als Gesellschaft Perfektion verlangen, etwa von Zahnärzt*innen oder Automechaniker*innen. Wenn die nicht sehr genau arbeiten, kann das schnell Probleme verursachen.

"Gleichzeitig ist aber dieser hohe Anspruch mit einer mehr oder weniger kritischen Auseinandersetzung verbunden. Was passiert, wenn man diese Standards nicht erreicht?"
Christine Altstötter-Gleich, Psychologin und Dozentin an der RPTU Kaiserslautern-Landau, forscht zu Perfektionismus

Die Psychologin sagt, in Bezug auf Perfektionismus spielen Bewertungen eine große Rolle. "Wir werden ja von klein auf bewertet, und wir bekommen von klein auf positives Feedback, wenn wir sehr gut sind – und nicht so positives Feedback, wenn wir nicht so gut sind", sagt Christine Altstötter-Gleich. Das fange in der Schule an. Gute Leistungen werden dementsprechend mit gesellschaftlicher Anerkennung und guten Jobs belohnt.

Die Psychologin findet nicht, dass wir den Perfektionismus abschaffen sollten, denn er hätte auch positive Seiten. Ihrer Meinung nach ist etwa wissenschaftlicher Fortschritt darauf zurückzuführen, dass es Menschen gebe, die ihre Arbeit sehr, sehr gründlich und gut machen.

Was sich hingegen ändern müsste, ist unsere Fehlerkultur und die Angst vor Fehlern. Es sei hilfreicher, wenn wir das Potenzial von Fehlern erkennen und aus ihnen lernen würden, so Christine Altstötter-Gleich.

"Was wir brauchen, ist eine Auseinandersetzung mit dieser anderen Seite: mit der Angst davor, Fehler zu machen. Wir brauchen eine andere Fehlerkultur. Eine, die uns ermutigt, aus Fehlern zu lernen."
Christine Altstötter-Gleich, Psychologin und Dozentin an der RPTU Kaiserslautern-Landau, forscht zu Perfektionismus

Auch Long Ngyuen sagt, sein Perfektionismus habe zwei Seiten. Er hat ihm dabei geholfen, das Studium durchzuziehen und sich mit eiserner Disziplin auf Prüfungen vorzubereiten. Das ging, indem er alles haarklein durchplante. Die andere Seite der Medaille war: Ein Sozialleben existierte in der Zeit so gut wie nicht.

Inzwischen habe er besser gelernt, mit seinem Perfektionismus umzugehen. Er habe festgestellt, wie gut es sich anfühlt, wenn er mal loslässt und spontan ist. Und dass keine Welt zusammenbricht, wenn nicht alles nach seinem Plan läuft.

Der Psychologe Martin Heisig sagt, auch er habe perfektionistische Züge. Zum Beispiel ist das Schild draußen an seiner Praxistür leicht schief angebracht. Für ihn ist es allerdings auch eine regelmäßige Erinnerung daran, dass man nicht allzu streng mit sich selbst sein sollte. "Ich nutze das als kleine, liebevolle Erinnerung an mich, dass auch Dinge, die nicht perfekt sind, manchmal hilfreich sein können. Die Leute wissen ja trotzdem, wer da ist und wo ich sitze", so Martin Heisig.

Sind Perfektionisten weniger sympathisch?

Der Psychologe hat eine Antwort darauf, warum Perfektionisten manchmal als weniger sympathisch wahrgenommen werden. Einerseits könne es daran liegen, dass sie ungern Hilfe von anderen annehmen. Wenn Mitmenschen Perfektionisten ihre Hilfe anbieten, werden sie manchmal zurückgewiesen. "Muss vielleicht auch gar nicht immer aus böser Absicht sein. Aber so aus diesem Anspruchsdenken heraus", sagt Martin Heisig, weil Perfektionisten oft der Meinung sind, dass niemand eine Aufgabe so gut erledigen kann, wie sie selbst.

Ein weiterer Punkt ist, dass Perfektionisten meist sehr hohe Maßstäbe haben. Und dann stelle sich die Frage: Wie erreichen sie diese Ansprüche? Dazu gehört dann wahrscheinlich auch, dass man auf andere Leute weniger Rücksicht nimmt in manchen Kontexten, sagt der Psychologe.

Das können wir tun, wenn wir weniger perfektionistisch sein wollen:

  • Wenn wir sehr perfektionistisch sind, dann sind wir wahrscheinlich auch sehr angespannt. "Ein angespannter Körper begünstigt einen angespannten Geist und einen angespannten Denkprozess. Ein entspannter Körper begünstigt auch eine entspannte geistige und körperliche Entspannung", sagt Martin Heisig. Deswegen empfiehlt er progressive Muskelentspannung oder Autogenes Training.
  • Meditation kann helfen, die Achtsamkeit und das Bewusstsein für den eigenen Perfektionismus zu schaffen. Und mit Bewusstsein ist gemeint: Sowohl die Vorteile als auch die Nachteile des perfektionistischen Denkens auf dem Schirm zu haben.
  • Strategie für den Alltag: Unperfekte Dinge bewusst zulassen.

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Shownotes
Perfektionismus
Wie bringen uns unsere Ansprüche weiter?
vom 14. Mai 2025
Gesprächspartner: 
Long Nguyen, Fotograf und Videograf, GQ Gentleman 2021
Gesprächspartnerin: 
Dr. Christine Altstötter-Gleich, Psychologin und Dozentin an der RPTU Kaiserslautern-Landau, forscht zu Perfektionismus und veröffentlichte einen Ratgeber zu diesem Thema
Gesprächspartner: 
Martin Heisig, Psychologe und systemischer Therapeut in Ausbildung
Autorin und Host: 
Shalin Rogall
Redaktion: 
Anne Bohlmann, Sarah Brendel, Yevgeniya Shcherbakova, Anne Göbel, Friederike Seeger
Produktion: 
Julian Kretschel