Massenhaft ins Berliner Olympiastadion um Petitionen zu unterschreiben? Charlotte Roche findet das eine gute Idee. Andere Stimmen sprechen von Polittainment und Kommerz.
Vielleicht wird es ein politisches Massenevent: Bei der Bürgerinnenversammlung am 12. Juni 2020 könnten zehntausendende Menschen im Berliner Olympiastadion zusammenkommen und gemeinsam Petitionen unterschreiben. Wird eine Petition innerhalb von vier Wochen von mehr als 50.000 Personen unterstützt, wird über sie öffentlich im Petitionsausschuss des Bundestags beraten.
Die Aktion hat eine Berliner Firma initiiert, beteiligt sind einige Vereine und Organisationen. Sie planen, das Berliner Olympiastadion für knapp zwei Millionen Euro zu mieten. Damit das klappt, gibt es eine Crowdfunding-Kampagne. An kaum einem anderen Ort lassen sich die erforderlichen 50.000 Unterschreibenden zusammenbringen. Wer im Stadion dabei sein will, muss allerdings vorher knapp 30 Euro Eintritt zahlen.
Eine Treffen für das Gefühl
Charlotte Roche ist Mit-Initiatorin der Aktion. Die Kritik, dass viele Menschen von vornherein ausgeschlossen sind, lässt sie nicht gelten. Die Autorin weist darauf hin, dass die Petitionen für vier Wochen von allen Bürgerinnen und Bürgern unterzeichnet werden können. Bei der Veranstaltung im Olympiastadion gehe es nur um das Gruppengefühl.
"Petitionen kann man immer von egal wo in Deutschland unterschreiben – einfach nur für ein Wir-Gefühl kann man an den Ort gehen."
Mit einem Stadion als Veranstaltungsort ist zunächst einmal Event und Euphorie verbunden und nicht Demokratie und Diskurs. Zumindest nicht hier in Deutschland, sagt die Politikwissenschaftlerin Julia Schwanholz. Die Verbindung von Politik und Entertainment gebe es in den USA deutlich häufiger.
"Polittainment in dem Stile, wie wir es vielleicht aus den USA kennen, wo regelmäßig politische Veranstaltungen auch in große Hallen oder Stadien verlegt werden, ist in Deutschland tatsächlich immer noch nicht die Regel."
Letztlich entscheiden dann gewählte Vertreter über den Inhalt der Petitionen. Die weitaus wichtigere Form der Bürgerbeteiligung in einer Demokratie sind deswegen Wahlen. Charlotte Roche betont allerdings, dass Wahlen und Petitionen sich nicht ausschließen.
"Ich habe großes Vertrauen in die Politik, aber ich finde es richtig gut, wenn Bürgerinnen sich beteiligen und sagen, guckt mal, das haben wir gelernt, wir wollen, dass dieses oder jenes jetzt schnell umgesetzt wird."
Petitionen können etwas bewegen, daraus können Gesetzesänderungen oder Gesetze werden. Zuletzt waren die Zeichnerinnen und Zeichner jener Petition erfolgreich, die forderte, die Steuer auf Periodenprodukte von 19 auf 7 Prozent zu senken. Dieses Anliegen bekam weit mehr als 100.000 Unterschriften, landete im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags und hat anschließend auch bei der Abstimmung im Parlament ausreichend Unterstützung bekommen.
Insgesamt zeigen die Fridays-for-Future-Demonstrationen und das geplante politische Petitions-Event im Stadion vielleicht, dass sich die Gesellschaft politisiert. Angesichts dieser Entwicklung mahnt die Politikwissenschaftlerin Julia Schwanholz, die klassischen Wege der politischen Beteiligung nicht zu vergessen. Eine besondere Verantwortung sieht sie bei den Parteien.
"Natürlich müssen sich die politischen Parteien heute auch fragen, warum sie für die junge Generation nicht mehr attraktiv sind und warum diese ihre Anliegen mittlerweile lieber über alternative Wege artikulieren."
Update: Die Organisatorinnen und Organisatoren der Aktion haben sich mittlerweile in einem Medium-Post zu Fragen und Kritik an ihrer geplanten Aktion geäußert.
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