WWW? Nein, danke! Geleakte Dokumente legen nahe, dass Russland ein nationales, völlig abgeschottetes Internet plant.
Russland ist nicht gerade bekannt für seine liberale Auffassung vom Netz. In den vergangenen Jahren hat die Regierung viele Regulierungen und Gesetze erlassen, die versuchen, das Internet zu kontrollieren und zu "russifizieren". Ausländische Firmen wie Apple und Google werden zum Beispiel zunehmend gezwungen, ihre Daten physisch in Russland zu hosten. Aber das geht russischen Regierungsberatern und Geschäftsleuten scheinbar nicht weit genug. Ein aktueller Leak von Anonymous International macht laut Global Voices öffentlich, dass in Russland derzeit über ein nationales, völlig abgeschottetes Internet nachgedacht wird.
Hochrangige Geschäftsleute stehen hinter der Idee
Der neue Leak (hier auf Russisch) stammt aus der gleichen Quelle, und zwar von Anonymous International, besser bekannt als shaltai Boltai (Humpty Dumpty auf Russisch). Der Leak beinhaltet E-Mails von regierungstreuen Geschäftsleuten, wie zum Beispiel Garald Bandurin, IT-Direktor des russischen Energieunternehmens RusHydro. Kernstück des Leaks ist ein Dokument aus dem Juni 2015. Die Kernaussage: Russland soll seine Abhängigkeit von westlichen Firmen und westlicher Technologie beenden und eine "nationale Internetplattform" bauen. Autoren des Dokuments sind unter anderem Bandurin und Sergey Ganzya von der Außenhandelsbank.
Der Hintergrund: Es ist eine Tatsache, dass die weltweite IT nicht nur von amerikanischen Unternehmen wie Google oder Microsoft dominiert wird, sondern dass auch wichtige Kontroll- und Aufsichtsorgane des Internets wie die Icann in den USA angesiedelt sind. Für Russland habe das zurzeit schmerzhafte Folgen, so schreiben die Propagandisten des russischen Internets. Derzeit würden zum Beispiel die Nutzer auf der von Russland annektierten Krim von Apple und Google blockiert.
Kann der Westen Russlands IT lahmlegen?
Das Dokument zitiert zudem Natalya Kasperskaya, die Chefin der führenden russischen IT Firma Infowatch. Sie spricht über spezielle “bookmarks” in Windows, dem meist genutzten Computersystem der Welt. Und diese Bookmarks seien in der Lage, die Mehrheit der russischen Rechner simultan auszuschalten. Auch Eisenbahnknotenpunkte, Pipelines und die gesamte Telekommunikationsinfrastruktur könnten, wenn der Konflikt mit dem Westen eskaliere, leicht sabotiert werden - weil sie mit westlicher Technologie gesteuert würden. Die Folge: Eine eigene russische IT-Infrastruktur müsse her - und ein eigenes russisches Internet.
Diese Einschätzung scheint Putin zu teilen. Er hat das Internet wiederholt als "CIA Projekt" bezeichnet. Andere russische Regierungsmitglieder haben auch schon gewarnt, dass Russland sich auf einen Cyberblackout einstellen müsse. Trotzdem stellt sich die Frage, ob es überhaupt machbar für Russland ist, einfach so den Internetstecker zu ziehen.
"Ich halte es für kaum machbar, Russland in ein zweites Nordkorea zu verwandeln."
In jedem Fall würde so ein Schritt eine sehr lange Vorlaufzeit brauchen und mit großen finanziellen Verlusten und Investitionen verbunden sein. Aber die Autoren des Dokuments sehen vor allem die großen Vorteile für Russland. Der Plan könne dem russischen IT-Sektor einen Riesenschub versetzen, genau, wie die russischen Lebensmittelsanktionen, nach einem Bericht der Moscow Times, in erster Linie dafür gesorgt hätten, dass der russische Landwirtschaftssektor durch die Importverbote glänzende Geschäfte machen konnte. Der russische Kommunikationsminister hat schon im April dieses Jahres gesagt, dass er den Anteil ausländischer Software bis 2025 auf unter 50 Prozent senken will. Aber all das ist leichter in einen Plan geschrieben, als in die Tat umgesetzt.
Im Blog Global Voices Online weist der russischen Blogger Aric Toler darauf hin, dass der Leak weder zeige, wie weit es der Vorschlag in der Kreml-Hierarchie gebracht habe, noch wie ernst er genommen werde. Dennoch, biete er einen Einblick in die netzpolitischen Themen der russischen Elite, schreibt das Blog netzpolitk.org. Vor allem zeigt er die Sorgen über strategische Schwachstellen Russlands, wenn sich die Beziehungen zum Westen noch weiter verschlechtern sollten.