Der Preis für Weizen hat sich seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine an den Rohstoffbörsen mehr als verdoppelt. Das hat viel mit Spekulationen zu tun, aber nicht nur, erklärt Wirtschaftsjournalist Nicolas Lieven.
Die Teuerung beim Weizen entsteht durch mehrere Faktoren, erklärt der Wirtschaftsjournalist Nicolas Lieven:
- Hohe Energiekosten: Das Betreiben der Maschinen und der Transport haben sich verteuert
- Gestörte Lieferketten: Bestimmte Rohstoffe oder Produktionsmittel können nicht geliefert werden
- Gestiegene Düngemittelpreise
- Verknappung des Angebots: Wegen des Kriegs kann die Ukraine Weizen nicht exportieren, Indien hat den Export von Weizen wegen der Dürre zur Sicherstellung der Versorgung der eigenen Bevölkerung eingestellt
- Zukunftserwartungen
Russland und die Ukraine stellen rund 30 Prozent des weltweiten Weizenexports, der durch den Krieg eingebrochen ist. Außer Indien, ein weiteres großes Weizenexportland, haben auch andere Länder wie Ungarn oder Bulgarien angekündigt, weniger Weizen zur Versorgung der eigenen Bevölkerung zu exportieren.
Die Aussichten auf die kommende weltweite Weizenproduktion sind eher negativ, da die Ukraine wegen des Kriegs vorerst nur wenig Weizen anbauen kann.
"Selbst wenn es zum Ende des Krieges kommen sollte, dann wird es in jedem Fall weniger Ernte geben. Deswegen spekulieren eben viele darauf, dass die Preise weiter steigen."
Ob Börsenspekulationen vor allem die Preise weiter nach oben treiben, glaubt Nicolas Lieven eher nicht. Zwar würden Menschenrechtsorganisationen Spekulant*innen die Hauptschuld an den Preissteigerungen geben. Dagegen hieße es aus dem Agrarsektor, dass Spekulanten und Spekulantinnen dem Markt helfen würden. "Die Wahrheit liegt so ein bisschen dazwischen", sagt der Wirtschaftsjournalist.
Weizenhandel an der Börse
Rohstoffe wie landwirtschaftliche Erzeugnisse werden über Warentermingeschäfte an den Börsen gehandelt: Ein Landwirt bietet an, sechs Monate später 5000 Tonnen Weizen zu liefern. Der Käufer sichert sich das Angebot zu einem festgelegten Preis. Für den Landwirt ist das gut, weil er Planungssicherheit dadurch erreicht. Denn egal wie sich der Preis tatsächlich entwickelt, bekommt er seinen Festpreis. Der Käufer geht die Wette ein: Steigt der Weizenpreis in den nächsten sechs Monaten, macht er Gewinn. Fällt der Preis, zahlt er drauf.
Aussicht auf Spekulationsgewinne als Preistreiber
Hinzu kommen aber Händler*innen und Spekulant*innen, die nichts mit Weizen zu tun hätten, sondern nur auf die Finanzen schauen, sagt Nicolas Lieven. Bereits vor einigen Jahren hätte der Wertpapierhandel das Siebzigfache der Getreidemenge betragen, die es überhaupt auf der Welt gegeben habe. "In der Zwischenzeit ist es wahrscheinlich das Hundertfache, das da gehandelt wird", sagt der Wirtschaftsjournalist. Diese Spekulant*innen interessieren sich allein für die Gewinne, die sie erzielen können.
"Es geht überhaupt nicht mehr um Getreide, sondern nur noch und ausschließlich ums Geld."
Laut Ökonom*innen würden diese Spekulationen zwischen 15 und 20 Prozent der Preissteigerung ausmachen. Nach Meinung von Nicolas Lieven sind sie vor allem verantwortlich für die kurzfristigen Schwankungen bei den Preisen. "Der Krieg beginnt und plötzlich schnellen die Preise nach oben. Dafür sind vor allen Dingen Spekulanten zuständig", sagt Nicolas Lieven. Den Preisanstieg merken wir ziemlich schnell beim Einkaufen, weil Lebensmittel sich dadurch verteuern.
"Das Problem ist, dass wir Verbraucherinnen und Verbraucher das sofort spüren, weil diese Preise werden so weitergegeben."
Bleibt die Frage, was man gegen diese Spekulationen unternehmen könnte – in einer Marktwirtschaft. Zum einen gibt es den Vorschlag, dass die Menge, mit der spekuliert werden darf, begrenzt wird, erklärt Nicolas Lieven. Zum anderen könnten Preise gedeckelt oder garantiert werden. Mit den garantierten Agrarpreisen hat die EU aber schlechte Erfahrungen gemacht vor einigen Jahren. Wegen der garantierten Preise haben Landwirte sehr viel produziert. Die Überproduktion zeigte sich dann in den berühmten Butterbergen und Milchseen, die dann für viel Geld wieder vernichtet werden musste, erzählt Nicolas Lieven.
Druck aus der Bevölkerung
Proteste und Druck aus der Bevölkerung gegen diese Spekulationsgeschäfte hätten dagegen Erfolg gehabt und bewirkt, dass sich Banken und Fonds in den vergangenen Jahren aus diesen Geschäften zurückgezogen hätten. Eine weitere Maßnahme könnte eine Übergewinnsteuer sein, die Gewinne aus diesen Spekulationsgeschäften besteuert. Bei Mineralölfirmen wird das bereits diskutiert. "Warum nicht auch die Lebensmittelbranche?", fragt der Wirtschaftsjournalist.
Aber auch die Staaten selbst würden in der Verantwortung stehen. Kleinbauern und Kleinbäuerinnen in Entwicklungsländern seien kaum staatlich unterstützt worden. Der Preisdruck war so groß, dass es sich für sie oft kaum gelohnt habe, etwas anzubauen. Daher ist "die Selbstversorgungsquote da einfach unfassbar gering", so Nicolas Lieven.