Seit mehr als zehn Wochen protestieren Menschen im Iran gegen das Regime. Der Protest ist teilweise sehr leise, hat aber große symbolische Kraft.
Viele Frauen laufen neuerdings zum Beispiel im Alltag ohne Kopftuch durch die Straßen. Im Iran ist das verboten. Die Journalistin Gilda Sahebi erklärt, dass sich Frauen ohne Kopftuch strafbar machen und großer Gefahr aussetzen.
"Ich glaube, das Kopftuch muss man wirklich gezielt erwähnen, weil die Gefahr, die damit verbunden ist, wenn sie es abziehen, ist sehr groß."
Die Proteste wurden ausgelöst durch den Tod von Mahsa Amini. Sie hatte im September ihr Kopftuch nicht einmal abgenommen, sondern sie trug es vermeintlich nicht richtig. Anschließend wurde die 22-Jährige von der Sittenpolizei mitgenommen. "Und sie ist dafür gestorben", sagt die Journalistin Gilda Sahebi. "Das heißt, die Gefahr, der sich die Frauen aussetzen, ist für die Freiheit, die Gesundheit und das Leben da. Trotzdem ist es so, dass inzwischen sehr viele Frauen dieses Kopftuch nicht mehr im Alltag tragen."
"Ich glaube, das ist eine der mächtigsten stillen Protestformen."
Für Frauen ist es außerdem verboten, in der Öffentlichkeit zu singen und zu tanzen, berichtet Gilda Sahebi. Im Moment sehe man jedoch viele tanzende Menschen, zum Beispiel in der U-Bahn oder auf der Straße.
Tanzendes Paar in Teheran
Ein Video hat die Journalistin besonders berührt: Es zeigt eine junge Frau und einen jungen Mann, die zusammen tanzen. Im Hintergrund der Freiheitsturm von Teheran. Gilda erklärt, dass ein Paartanz in der Öffentlichkeit im Iran alles andere als normal ist. "Ich war so gerührt, weil das absolut verboten ist", sagt sie. Denn es gehe hier nicht nur allein um den Tanz, sondern auch darum, dass ein Mann und eine Frau sich berühren und miteinander tanzen. "Sie sehen sich an, schauen sich in die Augen. Es war unfassbar schön", sagt sie.
"Jegliche Ausdrucksform von Kunst und Kultur in der Öffentlichkeit ist einfach verboten."
Das Tanzen in der Öffentlichkeit ist zwar verboten, aber gleichzeitig sind Musik und Tanz tief in der iranischen Kultur verankert. Auf Familienfeiern etwa gehöre es unbedingt dazu und sei sehr wichtig für die Menschen. "Da kommen dann ganz viele Menschen zusammen, es wird gegessen, getanzt und Musik gemacht", erklärt Gilda Sahebi.
"Auf den ersten Blick sind diese Sachen ganz normal. Dann sieht man sie plötzlich mitten auf der Straße. Das ist so unfassbar groß und wirkungsvoll. Das ist wirklich etwas ganz Starkes."
Ein Protestierender hat der Journalistin erzählt, dass – neben allen schrecklichen Dingen, die im Iran gerade passierten – viele menschliche Gesten ausgetauscht werden. In Teheran lächeln sich die Menschen zum Beispiel gegenseitig an. Als Zeichen der Verbundenheit. Es sei wie ein kleiner konspirativer Akt, der ausdrücke: Du bist nicht allein.
Zeichen der Verbundenheit
Ein weiteres stilles Protestzeichen sei, dass Menschen auf der Straße die Faust aneinanderdrücken – der sogenannte Fistbump. "Dann öffnet sich die Hand und die andere Person nimmt sich eine Süßigkeit heraus. Auch das ist ein Zeichen der Verbundenheit", erklärt Gilda Sahebi.
Weitere Videos zeigen junge Männer, die zu zweit unterwegs sind. Einer filmt und der andere läuft Mullahs hinterher, reißt ihnen den Turban vom Kopf und rennt dann schnell weg. Gilda Sahebi sagt, das sei besonders, weil hier gezeigt werde, wie die herrschende Angst und der Respekt vor den Geistlichen mehr und mehr schwinde.
"Wir haben jetzt die ersten Todesurteile gehabt gegen Protestierende. Denen wird dann noch irgendetwas anderes vorgeworfen, was sie getan hätten – außer zu protestieren."
Die kleinen, eher unbedeutend wirkenden Gesten seien jedoch im Iran im höchste Grade strafbar. Gilda Sahebi erklärt, dass zum Beispiel dem tanzenden Paar Verhaftung und Hinrichtung drohe. Erste Protestierende der vergangenen Wochen seien bereits festgenommen und verurteilt worden.
In den Urteilen heiße es dann "Krieg gegen Gott" und "Verdorbenheit auf Erden". Das drohe auch den Protestierenden, die sich durch Tanzen, Singen oder durch das Kopftuch-Ablegen ausdrücken. Das Schwierige dabei sei vor allem, dass das System sehr unberechenbar sei: "Es gibt Menschen, denen wird gar nichts passieren. Es wird Menschen geben, die werden "nur verhaftet". Es gibt Menschen, die werden im Gefängnis vergewaltigt werden. Es gibt Menschen, die werden hingerichtet werden. Man weiß nicht, was einem droht", sagt die Journalistin.
Trotz all der drohenden Strafen kann sich Gilda Sahebi nicht vorstellen, dass die Menschen zum früheren Gehorsam gegenüber dem autoritären Regime im Iran zurückkehren.