In Österreich sorgen Razzien im Kanzleramt, im Finanzministerium sowie in der ÖVP-Parteizentrale für Aufsehen. Ermittelt wird gegen Kanzler Sebastian Kurz. Die Opposition fordert Kurz' Rücktritt. Und auch der Koalitionspartner, die Grünen, müssen sich verhalten.

Die Vorwürfe gegen Sebastian Kurz lauten auf Untreue, Bestechlichkeit und Bestechung. Sie sind recht detailliert nachzulesen. Denn seitens der Ermittler wurde für die Durchsuchungen vom 6. Oktober eine 104 Seiten dicke Begründung erstellt. Ein investigatives Online-Portal hat diese Dokumente veröffentlicht.

In der Begründung wird Kanzler Sebastian Kurz und seinem Team grob gesagt vorgeworfen, auf dem Weg zur Macht in Österreich nicht immer sauber gewesen zu sein, fasst Julian Kuper aus unserer Nachrichtenredaktion zusammen.

Vorwurf: Steuergelder für manipulierte Umfrage

Es geht um die Jahre 2016 und 2017, als Sebastian Kurz noch Außenminister war. "Da gibt es den Verdacht, dass ein guter Bekannter aus dem Finanzministerium 1,3 Millionen Euro Steuergelder verwendet hat, um manipulierte Umfragen zu bezahlen", sagt Julian Kuper. Das Team um Kurz soll beeinflusst haben, wann die Umfragen gemacht werden, wie genau gefragt wird und auch was davon ausgewertet wird.

Diese derart manipulierten Ergebnisse sollten offensichtlich zeigen, dass Sebastian Kurz gute Chance hat, neuer ÖVP-Chef zu werden. Die Umfrage erschien unter anderem im redaktionellen Teil einer österreichischen Boulevard-Zeitung. Dafür soll es einen Deal mit dem Eigentümer des Medienhauses gegeben haben, so Julian Kuper.

"Die beeinflussten Umfrage-Ergebnisse sollten offensichtlich die Aufstiegschancen von Sebastian Kurz zum neuen ÖVP-Chef belegen. "
Julian Kuper, Deutschlandfunk-Nova-Nachrichtenredaktion

Sebastian Kurz weist die Vorwürfe zurück. Diese richteten sich allein gegen das Finanzministerium. Im ORF sagte er gestern (6. Oktober): "Es gibt doch keinen Hinweis, dass ich irgendwie, irgendwie involviert gewesen wäre." Politikerinnen und Politiker seiner Partei, der ÖVP, unterstützen den Kanzler. Die Razzien seien eine Show gewesen, um Sebastian Kurz zu schaden.

"Die Oppositionsparteien in Österreich sehen das natürlich ganz anders", sagt Julian Kuper. Sie fordern eine Sondersitzung des Parlaments sowie den Rücktritt von Kanzler Kurz. Der lehnt einen Rücktritt ab.

Die Grünen als Koalitionspartner müssen reagieren

Aber die aktuellen Vorwürfe könnten Kurz dennoch das Amt kosten. Das zumindest finden einige Journalistinnen und Journalisten in Österreich. "Nicht unbedingt, weil Kurz die Ermittlungen nicht überstehen würde, sondern eher, weil der Koalitionspartner einen Rückzieher machen könnte", sagt Julian. Denn die ÖVP regiert gemeinsam mit den Grünen. Der Chefredakteur des Magazins Falter twitterte: "Das geht sich jetzt mit der Koalition zwischen ÖVP und den Grünen nicht mehr aus. Game over."

An der Regierungskoalition gab es ohnehin Zweifel. Beim Thema Asylpolitik zum Beispiel liegen beide Parteien weit auseinander. Die Grünen wollen mehr Flüchtlinge aufnehmen; die ÖVP hingegen setzt auf einen harten Anti-Migrationskurs. Außerdem hatten die Grünen deutlich gemacht, dass sie nur eine saubere Politik mittragen wollen.

"Die Grünen haben immer gesagt, sie machen nur in der Koalition mit, wenn es saubere Politik gibt."
Julian Kuper, Deutschlandfunk-Nova-Nachrichtenredaktion

Laut Deutschlandfunk sagte mittlerweile der Grünen-Chef Werner Kogler, der Eindruck sei verheerend und der Sachverhalt müsse lückenlos aufgeklärt werden. Man könne nicht zur Tagesordnung übergehen.

Shownotes
Razzia in Wien
Korruptionsvorwürfe: Ermittlungen gegen Österreichs Kanzler Kurz
vom 07. Oktober 2021
Moderator: 
Till Haase
Gesprächspartner: 
Julian Kuper, Deutschlandfunk-Nova-Nachrichten