Geboren im kasachischen Alma-Ata, aufgewachsen in Rüsselsheim. Nach dem Tod seiner Großmutter macht der Journalist Fredy Gareis sich auf den Weg nach Russland. Er reist drei Monate durch ein riesiges Land und besucht die Orte, die er bisher nur aus Erzählungen kannte.
Fredy Gareis wächst als Kind von Russlanddeutschen auf. Russisch wird zuhause jedoch kaum geredet. Höchstens, wenn die Kinder nicht alles mitbekommen sollten oder die russische Verwandschaft zu Besuch kam. Fragen zur Vergangenheit werden abgeblockt. Auch, weil schmerzhafte Erinnerungen damit zusammenhängen. Geboren ist seine Mutter nämlich im "Soda-Kombinat", einem Arbeitslager in Sibiren: hier musste seine Großmutter unter Stalin Zwangsarbeit leisten. Lange bevor sie sich mit der Familie auf den Weg nach Deutschland machte.
"Die Vergangenheit war bei uns zuhause immer ein kleines Tabuthema, da meine Mutter der Meinung war, dass es jetzt eine neue Generation ist. Wir sind jetzt in einem neuen Land und sollten deutsch aufwachsen."
Auf seiner Reise geht der Journalist und Autor dieser Vergangenheit nach. Er besucht das ehemalige "Soda-Kombinat" und sieht zum ersten Mal den "Himbeersee", von dem seine Oma ihm immer erzählte. Ein See in der sibirischen Steppe, der als Kind wie ein verwunschener Ort klang. Himbeerfarben war er tatsächlich, gefärbt durch die Sträucher, die am Rand wachsen. Er ist Teil der Erinnerungen seiner Oma an das Arbeitslager: aus dem Eis des Sees musste sie im Winter Sodapflanzen brechen. "Wenn ich den Namen höre, durchfährt mich direkt ein Schauer", sagt Fredy Gareis.
"Eine der schönsten Begegnungen meines Lebens"
8000 Kilometer von zuhause entfernt trifft Fredy Gareis Menschen, die damals mit seiner Oma gearbeitet haben. "Eine der schönsten Begegnungen meines Lebens", sagt er. Sie erzählen von seiner Oma, von den Alpträumen und dem Hunger im Lager. Und dem Traum von Butter als größtmöglichem Luxus.
Unterschiedliche Reaktionen erlebte er an den Stationen seines Roadtrips: Absolute Herzlichkeit einerseits, misstrauische Polizeibeamte andererseits. Er erlebt politische Diskussionen in St. Petersburg genauso wie Trinkgelage im eiskalten Nirgendwo. Unzählige Begegnungen in einem Land, dessen Größe für ihn kaum fassbar war. Er reiste von St. Petersburg, über Moskau und die Wolga-Gegend bis in die Industriestädte des Ural. Er passiert Sibirien und strandet im Minus-50-Grad-kalten Osten. Eine Kälte, die nur auszuhalten war, sagt er, weil im eisigen Niemandsland plötzlich doch eine Hütte auftauchte, in der jemand für die verfrorenen Gäste kochte.
"Ein gigantisches Land. Man versinkt darin wie im Meer. Immer wieder Birkenwälder, Birkenwälder, Birkenwälder."
Seine Eindrücke zusammenzufassen fällt ihm schwer. Hängen geblieben ist ihm aber eines: "Die Russen haben das Talent, gleichzeitig auf dem einen Auge weinen und auf dem anderen lachen zu können." Leben und Tod sind sehr nah beieinander.
Die wichtigste Erfahrung seiner Reise ist für ihn daher, nicht nur Geschichten darüber zu hören, woher seine Familie kommt, sondern seine eigenen Erlebnisse zu ergänzen. Auch damit die Geschichten der Verwandten nicht mit ihnen sterben.
Seine Erinnerungen sind als Buch im Piper-Verlag erschienen: "100 Gramm Wodka: Auf Spurensuche in Russland."