Die Nationalsuppe Litauens basiert auf Roter Bete und ist leuchtend pink. Es ist keine Borschtsch. Die zum einen ein typisches Wintergericht ist und zum anderen für Russland und die UdSSR steht. Davon will man sich in Litauen abgrenzen.
Für viele Litauer*innen ist die kalte Suppe etwas ganz Besonderes, eine alte, litauische Tradition, die den Sommer einläutet und die es nur hier gibt. Šaltibarščiai – so der korrekte Name. Die Zutatenliste ist angenehm überschaubar, so Küchenchef Simon Kapcus: Gekochte oder eingelegte Rote Bete, Gurke, Dill, Frühlingszwiebeln, hartgekochte Eier, Kefir, ein bisschen Salz und ein Schuss Essig.
“Basicly it’s a very, very safe soup. But you have just to catch the balance between Salt and vinegar. And that’s it. You’re good to go.”
Das Gemüse, die Kräuter und die Eier werden klein geschnitten, gewürzt und mit Kefir aufgegossen. Die pinke Suppe sollte dann mindestens 30 Minuten ziehen. Im Grunde genommen kann nichts schief gehen.
Saltirborcai heißt übersetzt: Kalte Borschtsch. Borschtsch ist die etwas bekanntere Rote-Beete-Suppe aus Russland. Für Litauer*innen ist es wichtig, diese zwei Gerichte nicht miteinander zu verwechseln, erklärt Rimvydas Laužikas. Er ist Kulturhistoriker an der Universität von Vilnius und weiß, welche Rolle die pinke Suppe für die nationale Identität Litauens spielt.
Die politische Dimension einer Suppe
Die Zutaten waren früher für alle Einkommensklassen verfügbar. Das Gemüse kam meistens aus dem eigenen Garten. Die Eier von den eigenen Hühnern. Eine Suppe für arm und reich. Allerdings gibt es noch eine weitere politische Ebene.
Litauen wurde 1940 von der Sowjetunion annektiert. Und wie vereint man ein so großes Land, einen Vielvölkerstaat? Man schafft Standards. Nicht nur die Politik und Wirtschaft, auch die Kultur wurde vereinheitlicht. Sogar die Küche sollte überall gleich sein. Und dafür gab es staatliche Rezeptbücher, zentralisierte Speisepläne in Schulen, Kantinen und Restaurants. Eines dieser vorgeschriebenen Gerichte ist die russische Borschtsch, der warme Rote-Bete-Eintopf.
Die kalte Borschtsch stand nicht im staatlichen Rezeptbuch der Sowjetunion. Sie lagerte 50 Jahre – bis Litauen im Jahr 1990 wieder unabhängig wurde – im kulinarischen Gedächtnis und ist vom sommerlichen Mittagessen zum Symbol der litauischen Identität geworden.