In Moskau haben Tausende auf den Straßen für transparente Wahlbedingungen demonstriert. Sie wollen, dass ihre Unterschriften berücksichtigt werden und haben die Polizei überrascht, sagt unsere Korrespondentin.

Einige Tausende Bürgerinnen und Bürger haben am Wochenende in Moskau demonstriert – allen Verboten zum Trotz. Die Polizei und teils auch militärische Einheiten gingen gewaltsam gegen die Demonstrierenden vor. Ihre Härte zeigt sich auch in der hohen Zahl von etwa 1400 Festnahmen. Ein Motiv für die drastische Reaktion, sei die Sorge lokalpolitischer Funktionsträger und ihres Apparats, Macht zu verlieren, vermutet Christina Nagel – unsere Korrespondentin für Russland.

"Ich glaube, da gibt es eine große Angst vor Machtverlust, die dazu führt, dass jetzt so überreagiert wird."
Christina Nagel, Korrespondentin für Russland

Anlass für die Proteste sind Unregelmäßigkeiten im Vorfeld der Wahlen zum Moskauer Stadtrat am 08.11.2019. Kandidatinnen und Kandidaten müssen, um überhaupt antreten zu können, zwischen 5000 und 6000 Stimmen zusammentragen. Viele der Unterschriften sind von den Behörden für ungültig erklärt worden. Das ist der Grund für Verärgerung und in der Folge auch für die Demonstrationen in der russischen Hauptstadt, bestätigt unsere Korrespondentin.

"Man merkt, dass die Leute nicht mehr so viel Lust haben, sich alles bieten zu lassen. Das sind oft lokale Probleme, die dazu führen, dass die Leute auf die Straßen gehen."
Christina Nagel, Korrespondentin für Russland

Die Demonstrierenden verlangten, dass die Kandidaten, für die sie unterschrieben haben, dann auch tatsächlich gewählt werden können. Die große Zahl der Demonstrierenden habe die Behörden überrascht, um eine Massenbewegung handele es sich jedoch nicht.

"Es war das zweite Mal, dass die Behörden und Sicherheitskräfte hier überrascht wurden, dass da doch mehrere tausend Leute im Lauf des Nachmittags zusammengekommen sind."
Christina Nagel, Korrespondentin für Russland

Inzwischen haben die ersten Gerichtsprozesse gegen Demonstrierende begonnen, berichtet unserer Korrespondentin. Verschiedene Urteile sind bereits gesprochen – unter anderem gegen den Oppositionellen Ilya Yaschin. Er wurde zu zehn Tagen und ein weiterer Kandidat zu sieben Tagen Haft verurteilt.

"Es gibt eine große Angst, gerade bei der Regierungspartei Geeintes Russland, die massiv an Rückhalt verloren hat, dass sie bei den Wahlen untergehen oder zumindest so schlecht abschneiden könnte, dass es dem Kreml auffällt."
Christina Nagel, Korrespondentin für Russland

Die Partei habe so deutlich an Rückhalt verloren, dass viele Mitglieder der Partei Geeintes Russland als unabhängige Kandidaten anträten, damit sie überhaupt eine Chance haben, gewählt zu werden.

Alexei Nawalny – erkrankt und in Haft

Der russische Oppositionspolitiker Alexei Nawalny ist weiterhin in Haft. Er wollte ursprünglich bei den Präsidentschaftswahlen 2018 antreten. Eine Parallele zu den Wahlen der Moskauer Duma im Herbst 2019: Auch Alexei Nawalnys Kandidatur wurde nicht zugelassen.

Er hat gerade einen kurzen Aufenthalt in der Krankenstation hinter sich – wegen schwerer Schwellung im Gesicht. Seine Anwältin und seine Ärztin gehen davon aus, dass er Kontakt mit einer unbekannten chemischen Substanz hatte – also vergiftet worden ist.

"Die Sorge seiner Ärztin und seiner Anwältin ist allerdings, dass wenn es eine Chemikalie war, die möglicherweise noch in seiner Zelle ist und das Ganze wieder schlimmer werden könnte."
Christina Nagel, Korrespondentin für Russland

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Shownotes
Ziviler Protest in Russland
Moskau: Warum Tausende protestiert haben
vom 29. Juli 2019
Moderatorin: 
Sonja Meschkat
Gesprächspartnerin: 
Christina Nagel, Korrespondentin für Russland